Das Kellnerphänomen

Tricks gibt es viele, mittels derer schütter werdende Männer diesen Umstand zu verbergen trachten. Geheimratsecken lassen sich unter Ponyfransen, die freilich sämtlich irgendwo im mittleren Oberkopfbereich wurzeln, noch einigermaßen glaubwürdig wegmogeln. Andere, wie Tennisprofi Andre Agassi, stülpen sich so lange es geht Basecaps über die Halbglatze und spielen mit Hilfe unter ihr hervorquellender Hinterkopfresthaarbestände den Langhaarigen. Und ältere Männer neigen bekanntermaßen zu der in jeder Hinsicht indiskutablen Variante, sich eben jenes Resthaar als Matte von rechts nach links (oder umgekehrt) über den Schädel zu „frisieren“.

Haben diese Männer das nötig? Ist denn die Vorstellung, ein Rudel Fünfjähriger könnte ihnen – wie unlängst einem von ihnen geschehen – „Glatzi-Fitzi-Mann“ hinterherrufen, wirklich so grauenvoll? Und wissen sie nicht, daß 99,9 Prozent aller Frauen Halbglatzen sexy finden – von Vollglatzen ganz zu schweigen?

Wissen sie nicht. Oder glauben sie nicht. Und davon leben die Toupethersteller. Gewappnet mit der festen Überzeugung, die 90er seien die „Jahre gebrochener Tabus“, dient ein Vertreter dieser Zunft seine Produkte an. „Kahlflächen“ von 24 cm bis „alle Größen“ – gemessen ab Augenbrauen – können mit „einzeln geprüften“ Frisuren beklebt werden. Nachts werden selbige zwecks Reinigung in einer Speziallösung eingeweicht – was einen unwillkürlich an Gebißgläser denken läßt, womit der protesenhafte Charakter solcher „Haararbeiten“ allerspätestens erwiesen wäre.

Ein „völlig neues Lebensgefühl“ wird den von Selbstmitleid und Hemmungen Gebeutelten versprochen. Und sieht man sich die Vorher-Nachher-Beispiele einmal genauer an, erkennt man, was damit gemeint ist: Mittels eines Toupets verwandelt sich nämlich jeder halbwegs gutaussehende Mann – ganz unabhängig von seiner bisherigen Profession und vom gewählten Modell – unvermittelt in einen Kellner. Ob sich damit auch das entsprechende „neue Lebensgefühl“ einstellt, vermögen wir natürlich nicht zu beurteilen. Steht allerdings zu befürchten. Nichts gegen Kellner – aber derlei handgeknüpfte Zweithaar-Identität Marke „Kai“, „Tom“ oder „Ralf“ ist doch einigermaßen bedenklich. Finden Sie nicht, meine Herren? Barbara Häusler/ Fotos: Kronos