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Vorsorgen statt Nachkarten

Durch die Kostenexplosion im Gesundheitswesen steigen die Belastungen der Kassenmitglieder / Mit einem weitgefächerten Kursangebot setzen die Kassen verstärkt auf Prävention  ■ Von Hella Kloss

„Wer kümmert sich schon um seine Gesundheit, solange noch alles funktioniert.“ Jahrelang hat Sabine Bittler bei ihrer Arbeit als Krankengymnastin der AOK Berlin diese Erfahrung gemacht. Doch seit einiger Zeit versuchen die Krankenkassen, das Bewußtsein ihrer Mitglieder für die Bedeutung der Gesundheitsvorsorge zu schärfen. Prävention heißt das Zauberwort. Damit möchten die Kassen typische Zivilisationserkrankungen verhindern und Kosten dämpfen. Aus gutem Grund, denn das deutsche Gesundheitssystem kränkelt. Die Kostenexplosion in den letzten Jahren belastet immer stärker das Konto der Kassenmitglieder. So stieg der Durchschnittssatz der AOK-Beiträge in den vergangenen zehn Jahren um rund 59 Prozent.

Unter dem Motto „Hilfe zur Selbsthilfe“ versuchen die Kassen von der AOK bis zur Barmer durch breitgefächerte Gesundheitsprogramme das Verantwortungsbewußtsein ihrer Mitglieder für die eigene Gesundheit zu stärken. Nachdem 1989 das Gesundheitsstrukturgesetz in Kraft getreten ist, beschäftigen viele Kassen Gesundheitsberater; halbjährlich werden Kurse in den Bereichen Bewegung, Entspannung und Ernährung angeboten. Die Teilnahme ist für Mitglieder kostenlos, ein ärztliches Attest nicht notwendig. „Wir haben schließlich Interesse daran, daß die Leute gar nicht erst krank werden“, erklärt Viola Matzke von der Barmer Ersatzkasse in Berlin.

Zu den Programmschwerpunkten gehört bei den Kassen Ernährungsberatung. Denn längst ist anerkannt, daß ein falsches Eßverhalten das Grundübel vieler Erkrankungen sein kann. DiätassistentInnen oder ÖkotrophologInnen erstellen gemeinsam mit dem Kunden einen individuellen Essensplan. Daneben gibt es Vollwertkoch- oder Diätkurse. Nicht alle Angebote stoßen auf Resonanz. „Für den Kurs für übergewichtige Männer“, meint Viola Matzke, „hat sich niemand gemeldet.“

Das größte Kursangebot besteht im Bereich Wirbelsäulengymnastik. Denn Muskel- und Skeletterkrankungen sind zur Volkskrankheit Nummer eins geworden. Sie verursachen fast zwanzig Prozent der krankheitsbedingten Arbeitsausfälle. Junge Menschen sind von Wirbelsäulenerkrankungen genauso betroffen wie Rentner. Die Teilnehmer des Rückenschulkurses der Techniker Krankenkasse in Berlin beispielsweise sind zwischen zwanzig und Ende fünfzig. Die meisten von ihnen wollen schon lange bestehende Rückenschmerzen loswerden. Die junge Sabine Behle möchte es gar nicht erst so weit kommen lassen: „Ich möchte Fehlhaltungen erkennen, bevor ich Schmerzen habe.“ In dem Kurs lernt sie körpergerechte Haltungen, vom rückenschonenden Anheben von Getränkekisten bis zur richtigen Sitzposition vor dem PC.

Von den Ärzten scheint das Angebot der Kassen wenig beachtet zu werden. Nur selten weisen sie Betroffene auf die Möglichkeiten zur Selbsthilfe hin. „Unsere Teilnehmer kommen überwiegend von Krankengymnasten oder den Kassen. Krankheiten zu verhindern liegt meist nicht im Interesse der Ärzte“, meint Krankengymnastin Bittler, „sie möchten die Patienten weiterhin mit ihrem Instrumentenfuhrpark behandeln.“

Patienten dauerhaft gesundheitsfördernde Verhaltensänderungen zu vermitteln sei äußerst schwierig, räumt Adolf Moser, Geschäftsführer des hessischen Verbandes der privaten Krankenkassen (PKV) ein. „Die Frage ist, ob die Prävention angenommen und mental umgesetzt wird.“ Trotzdem setzen auch die privaten Kassen auf Vorsorge in Form von Gesundheitskampagnen bis zu vorbeugenden Untersuchungen. Eigene Präventionskurse führen die Privaten nicht durch. Doch die Patienten können sich selbst Kurse aussuchen, die von den privaten bezuschußt werden. Diese Freiheit haben Kassenpatienten in der Regel nicht. „Jede Kasse hat ihr eigenes Konzept und empfindet nur als richtig, was sie selbst anbietet“, kritisiert Sabine Bittler. Möchte ein Mitglied am Kurs einer anderen Krankenkasse teilnehmen, so muß er diesen aus eigener Tasche bezahlen. Auch mangele es den Kassen-Gesundheitsberatern oft an medizinischen Kenntnissen.

Aufgrund der Konkurrenz werden die Krankenversicherungen ihr Angebot für gesundheitspräventive Maßnahmen weiter ausbauen. Bereits 1993 gab beispielsweise die Barmer Ersatzkasse rund 150 Mark pro Person für Gesundheitsförderung aus. Das waren 3,7 Prozent dessen, was durchschnittlich pro Jahr für ein Kassenmitglied ausgegeben wird. Inwieweit die Kosten im Gesundheitswesen jedoch durch Präventionsmaßnahmen gedämpft werden können, darüber wagt niemand eine Prognose. Die Hoffnung der Krankenkassen ruht auf der Selbstverantwortung der Patienten.

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