: Ein braver Zuträger
Nach Aktenlage war der Rundfunkmoderator Lutz Bertram ein treuer Spitzel seines Staates ■ Aus Berlin Annette Rogalla
Berlin (taz) –Lutz Bertram, der Rundfunkheld, der aus dem Osten kam, war ein schnöder Stasi-Spitzel. Der junge Führungsoffizier Alexander Misch traf voll ins Schwarze als er den jungen Rundfunkmann Lutz Bertram im März 1982 anwarb. Ein Jahr später jubelte Misch in den Akten. Bertram schätzte er als „ausgeprägt kontaktfreudig“ ein, der die „bisher übertragenen Aufträge mit viel Initiative realisiert“ hat.
IM Romeo, wie Bertram sich nannte, sagte, welche Musiker sich in Neustrelitz ein Privatstudio mit Westkassettenrekordern aufgebaut hatten. Der Führungsoffizier brachte zu manchem Treffen eine Flasche Weinbrand für 39 Mark mit. Bei den abendlichen Gesprächen, so vermerkt das Protokoll, wurden „Stimmungen und Meinungen zum Verlauf des XXII. Parteitages der KPdSU und Erwartungen vom XI. Parteitag der SED abgeschöpft“. Aber auch Informationen über Kollegen.
Allein in der gestern veröffentlichten Stasi-Akte der damaligen Ehefrau Angelika finden sich Beispiele zuhauf. Einen Rundfunkkollegen charakterisierte Bertram als: „fleißiger MA, SED ausgetreten bzw. Rausschmiß, Studium nicht beendet, positive Einstellung zum Staat, Hobbies und Neigungen nicht weiter bekannt“. Bertram wurde für die braven Zuträgerdienste nach seiner Scheidung 1985 mit einer neuen Zweizimmerwohnung belohnt, die ihm Misch besorgt hatte.
IM Romeo litt im TV-Outing wohl an Gedächtnisschwund. Ein Treffbericht vom 30. Mai 1985 vermerkt explizit die „Übergabe personenbezogener Aufträge“. Informationen über einen Rentner sollte er sammeln, von dem das MfS annahm, er habe Verbindungen zu den Gruppen „Heinz“ und „Possenspiel“. Ein „Studiobericht Rundfunk“ wurde verlangt und Informationen über die Berliner Rockgruppe „Die Libellen“. Bertram informierte von sich aus, daß zwei Musiker der Gruppe „Karussell“ bei einem Gastspiel in Frankreich sich abgesetzt haben, daß die Rockbands City, Silly und Pankow ins „westliche Ausland“ reisen dürfen“. Bereits am folgenden 2. Juni konnte sich die Stasi die gewünschte Information abholen. Über den Leiter der Gruppe „Possenspiel“ bemerkte Romeo, daß dieser „ähnlich wie seine Musik sei: ein nicht ernstzunehmender Mensch“. Bertram horchte auch die West-Szene aus. Über Klaus Hoffmann steckte er Führungsoffizier Misch Pressematerial zu. In Westberlin spionierte er in dem Musikerladen „Top-Shop“ herum. Nichts tat Bertram ohne Gegenleistung. Schon 1982 forderte er Misch auf, daß seine Briefe und Päckchen aus dem Westen nicht durch die Zollkontrolle müßten.
Das vorliegende Material reicht dem ORB nicht für einen endgültigen Bruch mit seinem Frühstücksdirektor. Die Vorprüfkommission des Senders hat empfohlen, Bertram als freien Mitarbeiter weiterzubeschäftigen, allerdings im Musikbereich. Eigene Sendungen soll er vorläufig nicht moderieren. Hans Jürgen Rosenbauer, ORB- Intendant, wird der Empfehlung folgen.
Inzwischen muß er sich mit einem neuen Stasi-Fall befassen. Gestern kam heraus, daß der Musikchef des ORB, Wolfgang Martin, ebenfalls für das MfS gearbeitet hat. Er war langjähriger Weggefährte des IM Romeo.
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