■ Erklärung zum Austritt aus der PDS
: Ich will mich nicht länger verbiegen

Als ich 1989 vor dem Scherbenhaufen meines bisherigen politischen Lebens in der SED stand, war mein erster Gedanke: austreten. Aber hätte das etwa die jahrzehntelang gepflegte SED-typische Ignoranz gegenüber der Meinung Andersdenkender von mir abwaschen können? Hätte ich nicht als Sekretär einer Wohnparteiorganisation selbst im Herbst 89 meinen Genossen noch weisungsgemäß die Schmähschrift unseres ZK gegen das Neue Forum vorgelesen, anstatt mich um die Ecke im Kiez mit den Bürgerrechtlern zu treffen? Niemand kann vor der eigenen Geschichte davonlaufen, deshalb habe ich auf dem Außerordentlichen Parteitag gegen die Auflösung der SED gestimmt. Die Entschuldigung vor dem Volk der DDR war damals das mindeste, was wir tun konnten. Offene und kritische Analyse von SED und DDR, dachte ich, müsse zuallererst von denen betrieben werden, die dieses Regime zu verantworten hatten. Die Wut, die uns entgegenschlug, war mehr als berechtigt. Dabei durften wir nicht erwarten, mit feierlichen Sätzen der Entschuldigung gleich als politischer Partner akzeptiert zu werden.

Nicht wenige Menschen in der SED/PDS und PDS haben es trotzdem versucht und sich schmerzhaft mit ihrem eigenen Leben auseinandergesetzt. Der Anfang war hoffnungsvoll.

Aber die Stimmen früherer Verantwortungsträger in unseren Reihen wurden immer leiser, wenn es um die Aufklärung der Rolle der SED ging, um den Militarismus der DDR, die vormundschaftlichen Strukturen des Staates, die Repression durch das Ministerium für Staatssicherheit und ihre Verquickung mit der SED. Heute gehört es in der PDS längst zum guten Ton, sich eher mit der einstigen Elite zu solidarisieren als mit jenen, die in der DDR Widerstand geleistet haben. Statt dessen lebt das alte Feindbild aus SED-Zeiten wieder auf. Begleitet von Zynismus: Aus Solidarität mit Gregor Gysi soll Käthe Reichel am nächsten Wochenende auf dem Bundesparteitag Havemann-Texte lesen. Das Schlimmste: Auf das Entsetzen seiner Frau Katja und anderer Bürgerbewegter, mit denen zu reden als Zumutung angesehen wird, freuen sich nicht wenige.

Einer der wichtigsten Beschlüsse aus den Anfängen der PDS war jener zum offenen und ehrlichen Umgang mit der Vergangenheit. Auf dem Papier. Denn er wurde aufgeweicht. Die Führungsspitze, allen voran Gregor Gysi, führte ihn durch ihr eigenes Verhalten immer mehr ad absurdum. Dort löste quasi ein IM den anderen ab. Machen wir uns nichts vor: Alles wurde verschwiegen, bis die Presse die Vergangenheit ans Licht zerrte. Für den IM der Staatssicherheit und Berliner Landesvorsitzenden, Wolfram Adolphi, wurde André Brie ins Rennen geschickt, der dann auch zurücktreten mußte, weil er ebenfalls seine Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit verheimlicht hatte. Die stellvertretende Parteivorsitzende Kerstin Kaiser geht und wehrt sich nicht einmal gegen die Verlogenheit im Umgang mit ihr. Der Vorstand hätte ihre IM- Vergangenheit gerne unter der Decke gehalten. Als im Sommer die Akte auf dem Tisch lag, wurde öffentlich erst mal gar nichts erklärt, nach altem Motto: Augen zu und durch. Meinen Antrag nach den Sommerferien, der Vorstand möge sie auffordern, ihre Bundestagskandidatur zurückzuziehen, lehnte der Vorstand ab. Statt dessen forderte er Kerstin Kaiser auf, „verantwortungsbewußt“ mit ihrem Mandat umzugehen. Kerstin Kaiser und die Basis, die sie als Kandidatin gewählt hatte, durften rätseln, was das wohl heißen sollte. Die Forderung nach Mandatsrückgabe kam erst nach der Wahl auf öffentlichen Druck hin. Da erwartete plötzlich auch der Parteivorsitzende Bisky eine klare Reaktion der Bundestagsgruppe. Persönliche Diffamierung, Haß und Drohung waren die Quittung an mich, weil ich keine Ruhe gegeben hatte und immer wieder mit dem Thema Offenlegung der Stasi-Verstrickung gestört hatte. Noch schlimmer: Ich hatte darüber „mit dem Feind“ geredet, dem Spiegel. Die alten Worte, das alte Denken.

Hinter den Kulissen der PDS hat André Brie die Führung der Partei fest in der Hand. Weder gab es seinerzeit Bedenken, den Spitzen-IM zum Berliner Landesvorsitzenden zu machen – mit ihm hatte der damalige Parteivorsitzende Gysi sein Schicksal eng verknüpft und vor den Delegierten des Landesparteitages geradezu beschwörend von seinem Vertrauen zu André Brie gesprochen. Parteivorsitzender Bisky fördert Brie jetzt genauso wie Gysi. Er will, daß André Brie neuer Bundesgeschäftsführer wird. Am gegenwärtigen Geschäftsführer Martin Harnack wurde im Vorstand niemals Kritik geübt oder von mangelndem Vertrauen zu ihm gesprochen. Machtpositionen werden in der PDS hinter den Kulissen vergeben. Das wirft ein Licht darauf, wie in der Führungsetage die Fäden gezogen werden für eine schleichende Veränderung des nach außen gezeichneten Profils einer sich erneuernden, ehrlichen, pluralistischen Oppositionspartei. Die Defizite im offenen und ehrlichen Umgang mit der Vergangenheit werden immer größer. Die neue Partei kehrt zur alten Praxis zurück. Immer dann, wenn es um die persönliche Verantwortung ging, hat die PDS-Spitze gekniffen. Wenn André Brie auf diese Art neuer Bundesgeschäftsführer wird, ist Macht in der PDS in den Händen einer belasteten Person konzentriert, der Rückfall zum Zentralismus vorprogrammiert. Es ermuntert alle, die da mit ihrem „War ja doch alles nicht so schlimm“-Gerede am liebsten das Kapitel DDR- und SED-Geschichte schließen möchten. Und diese Stimmen überwiegen in der PDS.

Zu einem Zeitpunkt, da die Partei mit phantastischen Wahlergebnissen sehr erfolgreich dasteht, scheint sie dennoch in einer dramatischen Krise zu sein. Weil sie wieder da angekommen ist, wo sie 1989 stand. Da hilft auch keine Austreibung des stalinistischen Teufelchens Sarah Wagenknecht und die Ächtung der Kommunistischen Plattform. Denn ein bißchen Wagenknecht sitzt in jedem Kopf. Bislang wurde jeder inhaltlichen Auseinandersetzung mit stalinistischen und dogmatischen linken Denkweisen aus dem Wege gegangen. Erstens ist die Kommunistische Plattform in sich so differenziert wie die gesamte PDS. Und zweitens ist das Bild der PDS nicht in jedem Fall auch das, was sich in Vorständen und Fraktionen so reformsozialistisch darstellt. Für die DDR galt: Es war nicht drin, was draufstand. Das gilt auch für die PDS, auch ohne Sarah Wagenknecht.

Die Mehrheit der PDS-Mitglieder kommt halt aus einer reaktionären Partei, aus der SED. Deshalb wird die Auseinandersetzung mit diesem konkreten Auswuchs stalinistischer Politik nicht zu Ende sein, sollten Sarah Wagenknecht oder die Kommunistische Plattform die PDS verlassen oder per Erklärung dem Stalinismus abschwören. Dann stünde die PDS lediglich vor der Öffentlichkeit „geläutert“ da. Lothar Bisky hat zwar wiederholt erklärt, es gehe nicht um eine „Säuberung“, aber eine Ausgrenzung ist es allemal, was gegenwärtig läuft. Steht die Frage, wer die nächsten sein sollen, die gehen.

Andererseits lenkt die nach dem Motto „Entweder die Kommunistische Plattform distanziert sich unumkehrbar von poststalinistischen Ideen und bekennt sich zur Demokratie – oder der Parteivorsitzende kandidiert nicht wieder“ geführte Debatte von politischen Defiziten innerhalb der PDS-Diskussion ab. Zu diskutieren wäre beispielsweise das Oppositionsverständnis der PDS, ihr Verhältnis zu Macht und Staat. Aber die jetzt geführte Debatte hat einen schalen unehrlichen Beigeschmack: Bisky, Gysi und Modrow verfassen fünf Grundsätze, mit denen zumindest Bisky und Gysi ihr Verbleiben verbinden. Taktisch klug, daß auch Hans Modrow das Papier unterzeichnete. Denn er wird gebraucht für die Nostalgiker.

In diesem neuesten Papier wird die Abkehr von jeglicher Form des Stalinismus formuliert. Wieder einmal. Zugleich wird aber darin ein Loblied auf die Bemühungen und Ergebnisse der Tätigkeit Hunderttausender SED-Mitglieder für eine gerechtere, solidarischere Gesellschaft gesungen. Sich immer wieder mit dem subjektiv gewollten schönen Ziel zu trösten. Das ist die alte Krankheit der Linken, zu glauben, Gutes zu wollen und dafür jeden Dreck zu schlucken. Wie lange wollt Ihr die Öffentlichkeit und Euch selbst noch täuschen?

Wie Kerstin Kaiser das Bauernopfer zur Ablenkung von Gregor Gysis Vergangenheit war, so soll die Kommunistische Plattform jetzt der Brautpreis für die Zusammenarbeit mit der SPD sein. Statt ehrlich und vorbehaltlos einen Beitrag zur Aufdeckung der SED- Herrschaftsstruktur zu leisten, hoffen Gysi und Bisky auf eine Koalition der Vertuscher mit Stolpe und Co. Damit verabschiedet sich die Partei vom Nachdenken über wirkliche Alternativen zum Bestehenden und Vergangenen, über Utopien, darüber, wie eine wahrhaft alternative Kultur im Unterschied zu parteienüblicher Kungelei, Machtfixiertheit und parteipolitischer Unterordnung entwickelt werden könnte.

17 Jahre habe ich gehofft, mich angepaßt und mitgemacht. Länger kann und will ich mich nicht mehr verbiegen. Ich gehe. Karin Dörre

Mitglied des Parteivorstands der PDS und des Abgeordnetenhauses des Landes Berlin