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■ Der erste ArbeitsmarktberichtArbeitslosenzählen

Auch wenn es kaum noch einer hören will: Die Erwerbslosigkeit wird in Berlin weiter ansteigen. Und das bis ins Jahr 2000, wenn man den Hiobsbotschaften diverser Institute glauben darf. Jahr für Jahr erwischt es rund zehntausend Berliner, die sich in die industrielle Reservearmee und später vielleicht in die Reihen städtischer Suppenküchen eingliedern. „Eine leichte Zunahme gegenüber dem Vorjahresmonat“, heißt das dann bei den Statistikern.

Daß Letztere nicht arbeitslos werden, dafür sorgt die Arbeitssenatorin – mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, auch in ihrer eigenen Behörde. So läßt sie zum Beispiel einen Wälzer vom Umfang eines Kleinstadt-Telefonbuchs produzieren, der sich Berliner Arbeitsmarktbericht nennt und auf 121 Seiten den lausigen Zustand des Berliner Arbeitsmarktes beschreibt. Ein paar Tabellen und soziologisch bedeutsame Rahmendaten, die den negativen Wanderungssaldo in Umlandkreisen mit erheblichem Sterbeüberschuß aufs genialste mit der Beschäftigungsentwicklung verknüpft. So etwas muß man wissen, und der Bericht muß sich irgendwie von ähnlichen Bekanntmachungen des Landesarbeitsamtes abheben. Dieses verwaltet von Amts wegen die Arbeitslosigkeit und hat schon von daher eine gewisse Kompetenz im Katalogisieren des Mangels. Das ist noch nicht alles. Auch die Senats-Wirtschaftsverwaltung sondert einmal jährlich einen Bericht ab, der auch die Erwerbslosigkeit erfaßt. Wenn jetzt die Senatsverwaltung für Arbeit auch noch mit dem jährlichen Erscheinen des besagten Almanachs droht, riecht das nicht nur nach Verschwendung von Steuergeldern, sondern auch nach Behörden-Schwachsinn.

Der Senat sieht das natürlich ganz anders. Man wolle analysieren und das Bewußtsein dafür schärfen, daß Massenarbeitslosigkeit ein Problem sei, „das uns alle angeht“. Daß dieses Problem jedoch auch etwas mit Rationalisierungseffekten zu tun hat, von denen die im konjunkturellen Aufschwung befindliche Wirtschaft profitiert, kommt in ihren Berichten genausowenig vor wie der Umstand, daß die boomende Bauindustrie ihre Arbeiter lieber aus europäischen Billiglohnländern rekrutiert.

Für den Berliner Senat steht die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit an oberster Stelle. Vorzugsweise auf dem Papier. Peter Lerch

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