: Schluß mit gemütlich
Wie Uwe Schwenker den THW Kiel zum konkurrenzlosen Produkt im deutschen Handball macht ■ Von Arne Fohlin
Verlorene Spiele tun immer weh“, resümiert THW- Manager Uwe Schwenker ohne weitere Regung im Gesicht. Aber der gelernte Versicherungswirt, allezeit ein joviales Lächeln zur Schau tragend, weiß die gedämpfte Stimmung seit dem 18:25 unlängst beim spanischen Meister Elgorriaga Bidasoa Irun für weitergehende Schlüsse zu nutzen: „Manche Niederlagen können heilsam sein“, sagt er, unverdrossen darauf hoffend, daß der deutsche Handballmeister auch international zur ersten Adresse wird.
Zu Hause, zwischen Kieler Förde, Weserbergland, Ruhrgebiet, Bergischem Land, Magdeburger Börde und dem erweiterten Süden, ist der THW Kiel längst den anderen Vereinen sportlich davongelaufen. Für das Pokalhalbfinale hat man sich qualifiziert, in der Meisterrunde sind es bislang erst zwei Niederlagen, die den THW auf dem Weg zur Titelverteidigung belasten könnten.
Tun sie nicht: TV Großwallstadt, SG Flensburg-Handewitt, SG Hameln oder auch der TBV Lemgo tummeln sich zwar ebenfalls im oberen Tabellendrittel, leisten sich aber anders als die Kieler Ausrutscher. Vier Minuspunkte Vorsprung, ahnt Uwe Schwenkler, „sind als Polster nicht genug, aber auch kein Grund, nervös zu werden“.
Schwenker ist der Mann, der beim THW Kiel vor drei Jahren angefangen hat, Gemütlichkeit und Vereinstreue zu Sekundärtugenden zu erklären – was bei ihm zählt, ist Effizienz. In aller Bescheidenheit formuliert er, der Amerika mag und Gemütlichkeit für ein Arbeitsprinzip hält, daß es nicht das Beste aus einer Mannschaft hervorzukitzeln gelte, sondern einzig den Sieg.
So servierte er Ende der vergangenen Meistersaison zügig seinen Mentor und Förderer Heinz Jacobsen ab. Der mochte weiterhin die Vereinsgeschäfte führen, nachdem er als DHB-Vorsitzender verschmäht worden war. Schwenker lehnte ab: Nur ohne Jacobsen sei ein Grad von Professionalität durchsetzbar, der aus einem feierseligen und bisweilen trainingsfaulen Team das mache, was in den siebziger Jahren im (west-)deutschen Handball VfL Gummersbach und TV Großwallstadt waren: konkurrenzlose Platzhirsche.
So heuerte Schwenker nicht nur den Trainer Serdarusic an, auf daß dieser seine Spieler quäle und sportlich nichts mehr dem Zufall überlasse. Die Resultate sind bekannt: Der THW kann, nicht zuletzt dank seines überragenden Regisseurs Magnus Wislander, selbst auf einen Mann wie Thomas Knorr, zweitbester Torwerfer der vergangenen Saison, verzichten. Nicht allen Spielern schmeckt der neue Kurs: Tormann Michael „Pumpe“ Krieter mußte von der Vermarktung des THW lassen – mangels Erfolg.
Der Hinweis Krieters an die Adresse des einstigen Spielkollegen Schwenker, er möge die alte Kameradschaft hochleben lassen, ließ den Manager kalt. Als Krieter drohte abzuwandern, eruierte Schwenker dessen Lage, kam zu dem Schluß, daß sein Tormann an Schleswig-Holstein gebunden sei, erkannte, daß Jan Holpert in Flensburg für Krieter ein zu starker Konkurrent wäre – und rief darob in Bad Schwartau an. Ergebnis: Der Lübecker Vorstadtverein ließ von der Offerte im Namen der guten Handballnachbarschaft ab – und Krieter mußte wohl oder übel das niedriger dotierte Angebot Schwenkers übernehmen.
Auch das ewige Talent Wolfgang Schwenke wollte (um den Erhalt seiner jährlichen Viertelmillion) pokern. Warum die ihm überweisen? 180.000 Mark hätten auch genügt. Schließlich hat der Verein für die gleiche Position im Rückraum den noch kreuzbandverletzten Thomas Knorr. Schwenke konnte auch seine unbestrittene Popularität nicht weiterhelfen: Am Sonntag durfte er sich unter Tränen nach Hameln verabschieden. Keine Überraschung eigentlich: In Spielerkreisen weiß man längst, daß die Vereinsführung mit gefühliger Folklore nicht zu bestechen ist, und Hinweise auf Vereinstreue und andere überkommene Dinge, die mit Qualität nichts zu tun haben, überflüssig geworden sind.
Dabei basiert die Stärke des Managers auf der GmbH- Konstruktion seiner Profihandballer, die bis zu 300.000 Mark pro Saison verdienen: Vereinsmitglieder haben nichts zu melden, das Team, das Meister wurde, wirtschaftet als eigenständige juristische Person und unabhängig von den Muckereien von Jahreshauptversammlungen. Und man hat Erfolg: Als einziger Bundesligaverein schreibt der THW Kiel schwarze Zahlen.
Solche in Kiel bis vor kurzem unbekannten Geschäftsgebaren kann Schwenker im übrigen gut vertreten: Die Stadt hat sportlich keine Alternative. Sommers ein bißchen Kieler Woche, hier und da ein Radsport-Sternchen, aber kein Fußball: die „Störche“ (Holstein Kiel) führen ein kaum beachtetes Dasein in der Regionalliga. Insofern ist Kiel Provinz – wie Niederwürzbach, Nettelstedt oder Hintertupfingen: Handball schmückt, wenn nichts anderes da ist.
Alles, was im Kieler Mittelstand Rang und Namen hat, findet sich folglich im Sponsorenpool des THW: Vom Autohaus über eine Versicherung bis zu einer Lebensmittelkette. Der Rest findet sich unter den 7.000 Zuschauern, die sich regelmäßig in der Ostseehalle einfinden, um die ebenso regelmäßigen Siege zu bejubeln. Es ist ganz einfach chic, THW-Kenner zu sein, in einer Stadt, die zu wenig mehr inspiriert als zum Gedanken an eine Totalsanierung.
Allerdings: Heute abend soll nicht nur, sondern muß im zweiten Spiel in der Champions League Dukla Prag besiegt werden. „Ohne Sieg“, sagt Schwenker, „können wir den Traum vergessen, noch das Finale zu erreichen.“ Traum? Es geht schlicht darum, den knallhart kalkulierten Fortschritt auf dem europäischen Markt zu erreichen. Aber das knappe 16:15 am Sonntag zu Hause gegen Abstiegskandidat Nettelstedt deutet auf etwas hin, was beim THW lange nicht beobachtet wurde: Nervosität.
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