: Papierkrise nicht von Pappe
Konzentration und Standortverlagerung ■ Von Annette Jensen und Reinhard Wolff
Das schlimmste Jahr in der Nachkriegsgeschichte, das Jahr 1993. Aber seit letztem Sommer geht es wieder bergauf“, bilanziert Hans-Jürgen Lorenz vom Verband Deutscher Papierfabriken. Auch mit den Preisen: Kostete eine Tonne Zeitungspapier im Horrorjahr der Hersteller 770 bis 800 Mark, müssen Verlage heute etwa 960 Mark bezahlen. „Weitere Preiserhöhungen sind notwendig, damit wieder Gewinne gemacht werden können“, kündigt Lorenz an; schließlich sei noch lange nicht das Niveau von 1989 erreicht, als die Kunden mehr als 1.050 Mark hinlegen mußten.
Die wachsende Nachfrage hat die Rohstoffpreise bereits 1994 in die Höhe schnellen lassen: Zellstoff kostete etwa doppelt soviel wie in den zwölf Monaten zuvor. Und für eine Tonne gemischten Altpapiers gab es immerhin wieder ein paar Mark, nachdem die Kommunen zuvor 100 bis 150 Mark hatten drauflegen müssen, damit ihnen die Papierfabriken die Zeitungen und Magazine überhaupt abnahmen und sie auf diese Weise Deponieraum sparen konnten.
Die Papierindustrie ist konjunkturabhängig wie kaum eine andere Branche. Zum rezessionsbedingten Nachfragerückgang besonders von Schreib- und Computerpapier kamen in den letzten Jahren enorme Überkapazitäten durch die Inbetriebnahme neuer Anlagen hinzu. Die Maschinen waren durchschnittlich nur zu 86 Prozent ausgelastet; erst bei 90 Prozent aber beginnt in der Branche die Gewinnspanne.
Auch die Abwertung der finnischen und schwedischen Währung machte den deutschen Herstellern zu schaffen, weil die Ware aus Skandinavien wesentlich billiger wurde, was die heimischen Produzenten ebenfalls zu Preissenkungen zwang. 900 Millionen Mark Verlust, etwa sechs Prozent des Umsatzes, bilanzierten die deutschen Papierhersteller 1993. Im letzten Jahr kamen sie immerhin wieder auf eine „rote Null“, also ein nur noch leichtes Minus.
5.000 Menschen hat die Flaute hierzulande ihren Job gekostet – besonders viele blaue Briefe gab es in den neuen Bundesländern. Inzwischen verdienen nur noch etwa 50.000 Menschen in Deutschland ihr Geld mit der Herstellung von Pappe, Karton und Papier. Doch trotz des inzwischen auch im Inland einsetzenden Wirtschaftsaufschwungs dürfen sie sich nicht sicher fühlen. Denn in der Papierindustrie findet in den letzten Jahren ein enormer Konzentrationsprozeß statt. Teilten sich Ende der 80er Jahre die größten zehn in Europa noch 23 Prozent des Marktes, so hielten sie 1992 bereits 40 Prozent – Tendenz steigend.
Erst vor zwei Wochen kaufte der schwedische Konzern Svenska Cellulosa (SCA) der Viag eine 60prozentige Aktienmehrheit der Papierwerke Waldhof Aschaffenburg (PWA) ab und übernahm damit den größten deutschen Hersteller. Seither führt SCA mit einer Gesamtkapazität von sieben Millionen Tonnen und einem Umsatz von 11,6 Milliarden Mark den Reigen der Papierproduzenten in Europa an.
Die ArbeiterInnen in der hochmodernen Küchen- und Klopapierproduktion von PWA Mannheim müssen sich wohl keine Sorgen um ihre Zukunft machen, zumal die SCA auf diesem Sektor bisher keine Fabriken hatte. Schlechter könnte es bei einer Rationalisierungswelle hingegen für die kleineren PWA-Standorte aussehen. Denn der Trend in Skandinavien geht immer mehr zu gigantischen Anlagen. Allein schon das laute Überlegen der nordischen Konzerne MoDo und Stora, neue Kapazitäten von 560.000 Tonnen zu errichten, löste bei kleineren Papierherstellern Unruhe aus. Auch SCA hat viel Personal abgebaut und es auf diese Weise im letzten Jahr geschafft, von 100 Mark Umsatz 8 Mark Reingewinn zu erwirtschaften.
Hinzu kommt, daß sich die skandinavischen Papierhersteller zunehmend in Richtung Osteuropa orientieren: In Rußland und im Baltikum gibt es nicht nur gewaltige Holzvorkommen, sondern auch billige Arbeitskräfte und lasche Umweltschutzauflagen für die durchaus nicht saubere Industrie (siehe nebenstehenden Kasten). Wolfgang Oberressl, Sprecher der zum deutschen Marktführer aufgerückten Firma Haindl Papier, klingt gar nicht begeistert, wenn er über das Verschwinden des deutschen Konkurrenten im Bauch der SCA sinniert. Hier geht es ihm zufolge um den „Ausverkauf einer ganzen Branche“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen