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Den Bogen wieder schließen

Unerwartet freundlich, offen und luzide: die jüngste Tagung des Autorenkreises der Bundesrepublik  ■ Von Marko Martin

Unter dem Titel „Exilanten, Dissidenten und der deutsche Pragmatismus“ fand am Wochenende am Berliner Molkenmarkt die 8. Tagung des Autorenkreises der Bundesrepublik statt. 1992 von dem Schriftsteller Sigmar Schollak initiiert, parteiunabhängig und um die politische Mitte bemüht, zeigte sich die Anziehungskraft dieses Projektes erneut.

Um Fritz Beer vom Exil-PEN in London, Hans Joachim Schädlich und Edgar Hilsenrath lesen zu hören, drängelten sich in den engen Räumen die KollegInnen: Johannes Schenk & Natascha Ungeheuer, Peter Schneider, F.C. Delius, Helga Schubert, die Rumäniendeutschen Hellmuth Frauendorfer und Richard Wagner, Freya Klier, Chaim Noll und andere. Schädlichs Geschichte einer in den Gulag gebrachten deutschen Kommunistin, Hilsenraths Romanauszüge über den Untergang eines osteuropäischen Schtedls und schließlich Beers grandiose Autobiographie – hier wurde zu Geschichten, was sonst immer so klapperdürr antitotalitärer Konsens heißt. Inmitten von Cliquenwirtschaft und ideologischer Vereinsmeierei, wie sie Schriftstellervereinigungen normalerweise zieren, fiel hier eine Atmosphäre der Freundlichkeit und des offenen Diskurses durchaus angenehm auf.

Obwohl die unselige Geschichte des Ost-PEN, seine Kollaborationstätigkeit, Stasi-Verstrickung und heutige Verdrängung ein Thema war, schien es nicht, als bedürfe der Autorenkreis unbedingt eines „Feindbildes“. Wer hat und wer hat nicht – personelles Hickhack kam gar nicht erst auf.

„Der Ost-PEN ist eine Vereinigung gewesen, die permanent gegen ihr eigenes Statut und die internationale Charta verstoßen hat“, brachte es Peter Schneider lapidar auf den Punkt, und auch Yaak Karsunke hatte es nach eigenen Angaben schließlich satt, den demokratieentwöhnten DDR-Intellektuellen hinterherzurennen und Diskussionen einzufordern. Richard Wagner: „Was scheren mich denn die Ressentiments eines Volker Braun? Ich habe mich für die Freiheit entschieden, nicht für die Identität.“ Womit dieses Unwort das erste und letzte Mal auf dieser Tagung fiel.

„Leiden ist für Deutschland das, was der Stierkampf für Spanien ist“, sagte der Schriftsteller Klaus Poche, der 1979 aus dem DDR- Schriftstellerverband rausflog, ziemlich gut gelaunt. Denn natürlich gab es auch Klagen, etwa was die Einsamkeit der DDR-Dissidenten im Westen und die dortige Ignoranz betraf. Woraufhin sich der wackere Delius zur Wehr setzte, über Aktivitäten der Westberliner Linken berichtete, um Dissidenten zu helfen; die Namen von Hans Christoph Buch und Manfred Wilke fielen, und Hannes Schwenger rief: „Wir waren doch nicht alle Idioten!“ In einer Zeit, wo sich Egon Bahr auf Globke beruft, um Stolpe zu unterstützen und massiv einen Schlußstrich zu fordern, und PEN-West-Präsident Heidenreich die DDR-Vergangenheit „nicht so gnadenlos“ aufgearbeitet wissen will wie die NS- Zeit, „wird auch manches leichter“.

„Die Internationale der Täter“ (Ralph Giordano) steht, aber auch die Opfer können nicht länger gegeneinander ausgespielt werden. Der greise Fritz Beer protestierte seinerzeit gegen die Adenauerrestauration, die NPD und die griechischen Obristen; heute warnt er vor Konzessionen gegenüber DDR-Kollaborateuren und weiß sich mit einer jüngeren Generation einig, die vor der Verdrängung nicht einfach kapitulieren will.

Vor einer Überschätzung des Dichter-Wortes angesichts der real existierenden Kriege warnte die Literaturwissenschaftlerin Frauke Meyer-Gosau und konterkarierte Botho Strauß' Blutopferphantasien mit dem Krieg in Bosnien, den hiesigen Wunsch nach Reinheit mit den dortigen Massenverbrechen der „ethnischen Säuberungen“. Ihr Vortrag hieß „Annäherungen an Deutschland“ und beschrieb kühl und kenntnisreich die diesbezüglichen Bemühungen deutscher SchriftstellerInnen.

In der nachfolgenden Diskussion schlug dann das Unsinnlich- Pädagogische doch wieder durch: Von Denkfiguren war die Rede, anstatt sich einfach mit Menschenfiguren aus gut erzählten Romanen zufriedenzugeben; so wurde sich wieder angenähert und entfremdet, Brücken wurden gebaut, Schwellen überschritten und Türen geöffnet, schließlich kam sogar noch einer mit der Drohung an, „uns doch endlich mal unsere Biographien zu erzählen“.

„Leider will der Leser in Deutschland nicht ein gutes Buch lesen, sondern lieber wissen, was der Autor für Schreibhemmungen hatte, ehe er sich dem Thema nähern konnte“, bemerkte Bernd Wagner ironisch.

Woran liegt das? An der Unfähigkeit der Deutschen zur leichtfüßigen Konversation und ihrer Flucht in verstiegene Schachtelsätze?

„Mit dieser Bemerkung möchte ich den Bogen wieder schließen“, sagte ein deutscher Lyriker, der für sein Sprachgefühl allgemein gelobt wird, zum Abschluß eines Statements. Auch wenn man im Berliner Prenzlauer Berg wohnt – Bögen lassen sich nicht schließen; täten sie's, so würden wir sie als Kreise oder Ellipsen bezeichnen.

Damit fängt's ja an, und wir waren froh, doch noch was Bekrittelnswertes gefunden zu haben. Sonst hätte uns die sympathische Tagung womöglich noch zu romantisierenden Höhenflügen verleitet.

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