piwik no script img

Lärmende Kneipe muß Mietzuschuß zahlen

■ Folgenschweres Urteil für Wirte / 50 Mark monatlich Lärmentschädigung für Mieter

Kempten/Augsburg (taz) – Der 53jährige Lokführer Johann H. aus Kempten hat gut lachen. Er bekommt nach einem Urteil des Landgerichts Kempten künftig monatlich 50 Mark „Geldrente“ als Entschädigung für den Autolärm, der durch eine benachbarte Gaststätte verursacht wird.

Der Kläger hatte zunächst auf Unterlassung geklagt. „Mein Mandant muß berufsbedingt morgens um vier Uhr zur Arbeit und fühlt sich durch den Autolärm erheblich beeinträchtigt“, erklärt dazu Kurt Klug, der Anwalt des Lokführers. Die Zweite Zivilkammer des Kemptener Landgerichts hat zwar den Unterlassungsanspruch zurückgewiesen, aber „einen angemessenen Ausgleich in Geld“ für angebracht gehalten, weil eine wesentliche Beeinträchtigung im Sinne des Paragraphen 906 BGB vorliege.

Unterlassung sei nicht zu fordern, sagten die Richter, weil die wirtschaftlichen Konsequenzen, nämlich der Konzessionsentzug aufgrund fehlender Stellplätze, unvertretbar wären. Beklagte ist eine Eigentümergemeinschaft, die einen zu einem Gebäudekomplex gehörenden Hinterhof erworben hat und diesen an vier gastronomische Betriebe als Stellflächen vermietet.

Obwohl andere Hausbewohner vor Gericht erklärten, sie fühlten sich durch aus dem Hinterhof abfahrende Autos nicht belästigt, billigte das Gericht dem Kläger die Entschädigung zu. Dieser war durch ein Lärmgutachten des TÜV Bayern bestätigt worden. Das Urteil, von dem jetzt viele Wirte fürchten, es könnte Schule machen, ist zwischenzeitlich rechtskräftig. Zunächst hatten beide Seiten beim Oberlandesgericht München Berufung eingelegt. Doch der dafür zuständige Senat in der Außenstelle Augsburg bestätigte in einer mündlichen Verhandlung das Kemptener Urteil. Beide Seiten zogen daraufhin ihre Berufung zurück.

Der Bezirksgeschäftsführer des schwäbischen Hotel- und Gaststättenverbandes, der Jurist Manfred Piendl, sprach in einer ersten Stellungnahme von einem „erschreckenden und erschütternden Urteil mit unabsehbaren Folgen“. Vorbehaltlich einer genauen Kenntnis des Richterspruchs sagte Piendl, das könne bedeuten, daß künftig serienweise Nachbarn auf Lärmentschädigung klagen und Gastwirte monatlich 500 und mehr Mark an Anlieger bezahlen müßten. „Eine echte Existenzgefährdung wäre dies für viele Wirte.“

Sollte dieses Urteil Schule machen, sei die Politik gefordert. Es könne schließlich nicht angehen, daß Zug- und Fluglärm, daß Durchgangsverkehr und ähnliches geduldet werde, Lärm abfahrender Autos aber zu Entschädigungsansprüchen führe. Klaus Wittmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen