: Lieber entmannt als Ehemann
Thomas Jonigk, aus Schleswig-Holstein stammender Dramaturg am Berliner Off-Theater Affekt, hat drei Stücke geschrieben, die in dieser Saison uraufgeführt wurden – keines davon aber in seiner Wahlheimat Berlin ■ Von Petra Brändle
Er wollte schon immer schreiben. Als Zwölfjähriger schrieb er unzählige Entführungsgeschichten. Und immer war er es, der entführt wurde, immer jedoch blieben die Geschichten unvollendet. Später dann viele Gedichte, mit 17 ein erster Versuch fürs Theater: eine Kömodie in Reimen. Auch sie blieb unvollendet, da schon im zweiten Akt ein junger Mann auftauchte, den er zu ernst nahm: sein Alter ego.
Auch heute kommt Thomas Jonigk, Jahrgang 1966, beim Schreiben immer wieder bei sich selbst an. Mittlerweile erfindet er jedoch Figuren, die ihn nicht an der Fertigstellung seiner Theaterstücke hindern. Drei Stücke hat der in Berlin lebende Autor und Dramaturg bisher geschrieben: „Von blutroten Sonnen, die am Himmelszelt sinken“ (1991), „Rottweiler“ (1992) und im letzten Jahr „Du sollst mir Enkel schenken“.
Alle drei wurden in dieser Saison aufgeführt – in Köln, Wien und Bonn. Der Theaterbetrieb in Jonigks Wahlheimat Berlin jedoch schläft – und dabei sind der Off- Szene wenig Vorwürfe zu machen, da die Stücke aufgrund der Besetzung (viele ältere Frauen) für den etablierten Theaterbetrieb besser geeignet sind.
Zwar interessierte sich eine junge Mitarbeiterin der Dramaturgie des Deutschen Theaters für Jonigks Stücke, sie zu protegieren gelang ihr jedoch nicht. Nun, nach den Uraufführungen, wollte das DT gleich ein Stück bei ihm bestellen. Der Autor jedoch will „frei“ bleiben, auch von Erwartungsdruck, und er will sich und seinen Stoffen Zeit lassen.
Diese Entwicklungszeit ist den Figuren seiner Stücke anzumerken. Sie sind nicht nur skizziert, sondern zu boshaften Kunstfiguren mit biographischen Horizonten ausgearbeitet. Es sind schauerliche Figuren, eingeklemmt in Familienbande (und doch mag er sie). Seine eigene Familie nennt Jonigk „das Grauen“: Vater und Mutter Alkoholiker, den Besuch des Gymnasiums mußte er sich erkämpfen. Nur mit Rückzug und Aggressionen habe er diese Zeit überstanden – Auswege, die auf eine gewisse Art auch seine Theaterfiguren suchen. Die Elternfiguren dagegen fristen ihr Dasein in bedrückend engen Verhältnissen, nebenbei wird geprügelt, einfach so, weil es eben dazugehört.
Nicht, daß die jüngere Generation viel besser wäre – debil, erkenntnisunfähig oder opportunistisch, sind auch die Töchter und Söhne eher Antipathieträger. Nur einer schafft es beinahe, sich dem gesellschaftlichen Korsett zu entwinden: „Ich bin schwul! Ich steige auf keine Frau, um aufzusteigen! Mein Leben läuft keine Beamtenlaufbahn entlang! Lieber entmannt als Ehemann!“ („Du sollst mir Enkel schenken“). Doch da greift die Souffleuse des Stückes ein, setzt dem „freien Willen“ die geordneten Bahnen des Textes entgegen, womit der Schwule ordnungsgemäß „dem Endziel der Verheiratung nahegeführt wird“.
Ihm, dem schwulen Sohn, gehört die Sympathie des Autors. Thomas Jonigk ist selbst schwul. Doch wo seine Figuren in familiären Truppenbewegungen verkorksen, hat er sich längst aus dem Kontrollfeld seiner norddeutschen kleinstädtischen Umgebung freigemacht – jahrelang hatte er keinen Kontakt zu den Eltern.
Dabei ist die Familie jedoch gar nicht sein Hauptthema. Es geht vielmehr um Geschlechterrollen und Sexualität – „lustvolle“ Themen für Jonigk, auch wenn's in seinen Stücken nie so recht klappt. Gerade das sei der „Brennspiegel“, meint Jonigk: „Wer dringt in wen ein, wer übt Gewalt aus, wer will, wer nicht – darüber kann man so viel verdeutlichen.“
Um Machtstrukturen zu beleuchten, hat sich der Dramatiker eine künstlich spielerische Sprache gefertigt. Er jongliert mit Worthülsen, Alliterationen, Sprichwörtern und dummdreisten Sprechblasen: ein „Verstecken hinter dem Banalen“. Die Analyse politisch korrekt im Text mitzuliefern interessiert Jonigk nicht. Seine Figuren sagen, was „erkenntnismäßig längst abgehakt ist“. Und doch benutzt er die Floskeln auch: „In einer Frau, die Forderungen stellt, wird keiner Feste feiern, wie sie fallen“, lamentiert Norma in „Du sollst mir Enkel schenken“.
Und: „Wir wußten von nichts“, leiert die Mutter im Stück „Rottweiler“. „Ich möchte gar nicht wissen, was ich alles weiß. Ich habe gemocht, und jetzt mag ich nicht mehr. Ich kann nicht mehr nicht wissen, weil ich weiß, was ich weiß, und nicht weiß, was ich nicht weiß. Früher wußte ich genau, was ich nicht wußte...“ Ihre Windungen und Drehungen jedoch erlauben Jonigk, auch das noch einmal zu sagen, „was man eigentlich gar nicht mehr sagen kann“.
Ihm geht es um die „schale und schockierende Wirkung, wenn man entdeckt, daß Figuren Wirklichkeit in absolut banale Dinge legen“. Und das ist gerade nicht floskelhaft, vor allem wenn es so bitter-komisch und scheinbar trivialisiert serviert wird wie bei ihm.
Nach drei „Familien“-Stücken hat sich allerdings dieses Thema für Jonigk erschöpft. Keinesfalls wolle er thematisch in eine Schublade gesteckt werden. Sympathisch bescheiden verweigert er sich also dem staatlichen Theaterbetrieb und arbeitet weiterhin als Dramaturg für die Berliner Off-Gruppe „Theater Affekt“ mit Stefan Bachmann, dem Uraufführungsregisseur des „Enkel“-Stückes.
An die großen Berliner Häuser kommen jene Regisseure offenbar nicht, die – wie auch Thirza Bruncken am Kölner Schauspiel oder Gerhard Willert am Wiener Schauspielhaus – den Szenarien eines jungen und vor allem noch nicht als Erfolgsgarant bekannten Autors vertrauen.
Die Texte sind zu beziehen bei: „Nyssen und Bansemer“, Köln, Tel.: 0221/31 96 20
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