: Dolgenbrodt erneut vor Gericht
■ Bundesgerichtshof hebt Freispruch gegen ehemaligen Skinhead auf / Brandanschlag auf leeres Asylbewerberheim wird neu verhandelt / Dorfbewohner hatten Anschlag seinerzeit gerechtfertigt
Karlsruhe/Berlin (taz/AP) – Im Juni letzten Jahres wurde Silvio J. mangels Beweisen freigesprochen. Er stand wegen des Brandanschlages auf ein leerstehendes Asylbewerberheim in Dolgenbrodt bei Berlin vor dem Potsdamer Landgericht. Nun hat der Bundesgerichtshof (BGH) diesen Freispruch aufgehoben. Der Prozeß muß neu aufgerollt werden.
Im August 1993 sorgte der Fall Dolgenbrodt weltweit für Schlagzeilen. Der Angeklagte Silvio J. hatte die Bewohner der 260-Seelen-Gemeinde bezichtigt, für den Anschlag im November 1992 mehrere Brandstifter gegen 2.000 Mark Belohnung angeheuert zu haben. Und die Dorfbewohner hatten damals keinen Hehl daraus gemacht, daß ihnen die Vernichtung des Heimes willkommen gewesen sei.
Noch im August 1993 hatte die damalige Bürgermeisterin Dolgenbrodts, Ute Preißler, den Brandanschlag gegenüber der taz mit den Worten kommentiert: „Ich weiß nichts von einer Geldsammlung. Aber keiner war traurig über diese Lösung.“ Der zur Tatzeit achtzehnjährige Silvio J., der einschlägige Kontakte zur rechtsradikalen Szene besitzt, hatte sich zunächst öffentlich der Tat gerühmt, zog sein Geständnis dann aber wieder zurück. Seinen Vorwurf gegenüber den EinwohnerInnen Dolgenbrodts hingegen erhielt er noch im Prozeß aufrecht. Die Staatsanwaltschaft hatte damals drei Jahre und neun Monate Jugendhaftstrafe gegen J. gefordert. Der BGH gab nun der Revision der Staatsanwaltschaft statt und verwies den Fall zur erneuten Verhandlung an das Landgericht Frankfurt (Oder).
Das Gericht kritisierte vor allem die Beweiswürdigung in dem angefochtenen Urteil der Potsdamer Kollegen. Die Kammer hatte den Jugendlichen freigesprochen, weil nicht auszuschließen sei, daß sich der Angeklagte aus übersteigerter Geltungssucht und um sich in der rechten Szene aufzuspielen, der Tat bezichtigt habe. Das BGH bemängelte nun, das Landgericht habe sich außer mit der wiederholten Selbstbezichtigung des Angeklagten nicht ausreichend mit einem weiteren Indiz auseinandergesetzt. Der Beschuldigte hatte sich nach eigener Einlassung am Vortag des Brandanschlags Flaschen zur Herstellung von Molotowcocktails besorgt.
Silvio J. war im ersten Prozeß vorgeworfen worden, in der Nacht zum 1. November 1992 mit einer Brandflasche das leerstehende Asylberwerberheim niedergebrannt zu haben, einen Tag bevor 86 Afrikaner einziehen sollten. Die Staatsanwaltschaft hatte vor allem wegen der Aussagen des Angeklagten Ermittlungen gegen Unbekannt wegen Anstiftung zur Brandstiftung aufgenommen.
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