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Vom ganzen Leben

■ Hermann van Veen – von den Geheimnissen eines Entertainers

Abgekämpft ist er, wie er durch die Stuhlreihen der Glocke läuft, blaß, verschwitzt. Wie immer: Hermann van Veen verdrückt sich nicht, Hermann van Veen geht nach vorne ab, wo das Publikum ist, mittendurch. Trotz des tosenden Beifalls eher bescheiden und ernst. Und sieht viel älter aus als der, der den Abend über auf der Bühne gestanden hat.

Was ist dran an dem Mann, der drei Abende hintereinander die Glocke füllt, und das nicht gerade für paarmarkachtzig? Doch nicht für einen mittelmäßigen Sänger. Was treibt hunderte von BremerInnen, mehr als 50 Mark für die Eintrittskarte zu bezahlen? Für einen mittelmäßigen Geiger und Tänzer wohl kaum – aber für einen begnadeten Entertainer. Warum sie hingehen? „Wir sehen ihn jetzt schon zum drittenmal“, sagt ein Paar. Einmal da, immer da – van Veen-Fans altern mit ihrem Star, und immer wieder kommen Neue und altern mit. Je öfter er in die Stadt kommt, desto länger muß er bleiben.

Damals in den Siebzigern, da tauchte plötzlich ein rätselhafter Holländer im Aktuellen Sportstudio auf und bearbeitete ein Klavier zum Steinerweichen. Ein Star sei er zu Hause, hieß es, bei uns kannte den kein Mensch. Ein Musiker, ein Clown. Nein, mit dem konnte das Publikum nicht allzu viel anfangen. Freundlicher Applaus, mehr nicht. Ein paar Jahre später hatte sich das gründlich geändert. Van Veen sang „He, kleiner Fratz“ über die Sehnsucht nach der glücklichen Kindheit und nach der „vollkommen wehrlosen Liebe“. Die einen fandens zum Speien, viel zu dick aufgetragen. Die anderen gaben sich hin, vollkommen wehrlos. „Was kann man mit Geld schon kaufen? Ihre schönen Augen, die kann man mit Geld doch nicht kaufen“, sagte er vor Jahren in einem Buten&Binnen-Interview. Und er lächelte freundlich, und die Interviewerin schmolz dahin.

Älter ist er geworden, sein Publikum mit ihm, und jetzt singt er nicht mehr nur vom Kindsein und nicht mehr nur von der Liebe. Van Veen singt von der Asche in den Herzen und in den Beziehungen, wenn die Tochter aus der Drogenklinik kommt und genauso einsam ist wie zuvor, weil die Familie mit Wichtigerem beschäftigt ist. Dann steigt sie aufs Dach: „Papa, Mama, ich kann fliegen.“ Van Veen singt vom Tod. Über den Brief mit schwarzem Rand: „Du hast oft gedacht, morgen ruf ich ihn mal an, morgen frag ich, was er macht, wies ihm geht. Na ja, zu spät“. Im Zuschauerraum schluchzt eine Frau.

Aber van Veen wäre nicht van Veen, wenn er dem nichts entgegesetzen würde. Das macht den großen Entertainer, das macht den Erfolg: Immer dann, wenn das Gefühl zu versulzen droht, dreht van Veen das Lied ins Clowneske und löst die Spannung in Lachen auf. „Na, das Leben geht weiter. Hoffentlich nicht zu lang. Zeit ist Geld.“

Bei den Rock-Opas von den Stones ist die Zeit in der Spätpubertät stehengeblieben, zum Musikantenstadl kommen die Frühvergreisten. Van Veen singt von der Kindheit und vom Tod, vom ganzen Leben. Das ist der Grund für den Begeisterungssturm auch beim zurückhaltenden Bremer Publikum. Das erklatscht sich reichlich Überstunden.„Jetzt schon?“ fragt die Garderobenfrau um elf. „Gestern hat er bis zwanzig nach gespielt.“

Jochen Grabler

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