: Gesamtschulen sind nicht zu retten
Ein in Nordrhein-Westfalen von Lehrern gegründeter Arbeitskreis übt vernichtende Kritik an der Gesamtschule / Ihr Fazit: Sie verstärkt gesellschaftliche Ungleichheiten ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs
Seine Kritik an der Gesamtschule tat weh. Eine wahre Leserbriefflut in der Zeitung der nordrhein-westfälischen Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) zeugt davon. Daß die provokativen Thesen des pensionierten Gesamtschullehrers Ulrich Sprenger (64) (s.taz v. 17. 9. 1994) zum 25jährigen Jubiläum der neuen Schulform überhaupt in dem Gewerkschaftsblatt nds erscheinen durften, geißelten gleich dutzende Gesamtschulleiter als „Skandal“, als einen „Fußtritt“ für alle GEW-Gesamtschulbefürworter. Für die Hardliner in der Gesamtschuldebatte war der Fall schnell erledigt: Sprenger, ein individueller Versager, dessen Kritik allein aus „jahrelang aufgestautem Lehrerfrust“ (ein Schulleiter aus Köln) resultierte. Doch diese Strategie brach in sich zusammen, als immer mehr LehrerInnen sich meldeten, die Sprengers Schilderungen aufgrund ihrer eigenen Gesamtschulerfahrungen als zutreffend empfanden. Viele waren froh, daß endlich einmal jemand diesen „Tabubereich, mit seinen eher totgeschwiegenen Fakten, angerührt und realistisch beschrieben hat“. Jetzt wird der zwischenzeitlich etwas eingeschlafene Streit wohl neu entbrennen.
Verantwortlich dafür ist ein von Gesamtschullehrern gegründeter „Arbeitskreis“, der eine „ehrliche, ideologiefreie Diskussion“ über diese Schulform initiieren will und zwar, „um Schaden abzuwenden von Schülern wie von Lehrern“. Knapp 30 Pädagogen, darunter auch mehrere GEW-Mitglieder, gehören diesem Kreis an. Aus „Angst vor Mobbing“ möchten die KritikerInnen vorerst noch anonym bleiben. Viel Verständnis dafür hat Ulrich Sprenger, der nach der Veröffentlichung seiner Thesen selbst eine „Art Treibjagd“ erleben mußte. Der „Arbeitskreis“ will die „schweigende Mehrheit“ der LehrerInnen, „die das Mißverhältnis von Anspruch und Wirklichkeit“ an den Gesamtschulen „immer deutlicher spüren“, zum Sprechen bringen. Das Fazit ihres gestern vorgelegten 18seitigen Grundsatzpapiers lautet: Die integrierte Gesamtschule ist eine „pädagogische Fehlkonstruktion“, und weder durch Nachbesserungen noch Reformen zu retten. Weil durch die an Gesamtschulen vorgeschriebene Fachleistungsdifferenzierung die Klassenverbände weitgehend aufgelöst würden, seien gerade jene Kinder überfordert, die des Klassenverbundes als sicheren Horts besonders bedürften: Kinder, denen aus ihrem familiären Umfeld wenig Selbstvertrauen, Anregung und Stützung für ihre Lernmotivation zugingen, würden so ihrer Chancen beraubt. Dadurch „verstärke“ die Gesamtschule „gesellschaftliche Ungleichheiten“, statt – wie einmal beabsichtigt war – den Kindern mehr Chancengleichheit zu gewähren.
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