: Ihr Erbe muß uns helfen
■ Gedenken in Auschwitz-Birkenau / Der Wortlaut des gestern verlesenen "Appells von Auschwitz"
„Appell an die Völker der Welt: 50 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz- Birkenau sind wir zusammengekommen, um des größten Verbrechens, das in der Geschichte begangen worden ist, zu gedenken. Ein Verbrechen, das seinen Autoren nach die Endlösung bringen sollte, ein Verbrechen gegen die Juden – hauptsächlich gegen die Juden –, aber auch gegen andere Völker: Gegen die Polen, gegen die Roma, die Russen, Holländer, Franzosen, Deutsche, Österreicher, Weißrussen, Bulgaren, Jugoslawen, Luxemburger, Litauer, Letten, Dänen, Esten, Tschechen, Kroaten, Ungarn, Bürger Bosnien-Herzegowinas, Belgier, Italiener, Ukrainer, Slowenen, Slowaken, Rumänen, Mazedonier, Norweger und Albaner.
Hier auf polnischem Boden, doch nicht mit polnischer Hand, haben die deutschen Nazis eine Kette von Lagern errichtet, unter denen Auschwitz-Birkenau zum Symbol des Bösen und der Barbarei nicht nur des 20. Jahrhunderts wurde. Wir sind verpflichtet, der Opfer zu gedenken, ihrer Tode, aber auch des Lebens.
Ihr Erbe muß der Menschheit helfen, den Glauben an eine Zukunft zu begründen, die frei von Rassismus, Haß und Antisemitismus ist. So wie wir verpflichtet sind, der Opfer des Konzentrationslagers Auschwitz zu gedenken, so sind wir auch für die Lebenden zur Sorge um den Frieden, um Toleranz und um Menschenrechte verpflichtet.
Wir glauben und hoffen, daß diese Prinzipien mit Achtung angenommen werden, daß sie sich tief in das Bewußtsein der ganzen internationalen Gesellschaft einprägen, daß sie die Herzen und Gemüter berühren, so daß am Ende des 20. Jahrhunderts Instrumente geschaffen werden, die eine friedliche Lösung aller Konflikte garantieren. Verbrechen gegen die Menschheit dürfen nicht vergessen werden. Unabhängig davon, wo, wann und durch wen sie begangen wurden. Es muß darüber gerecht geurteilt werden. Es muß eine Warnung für die Zeitgenossen werden und für die zukünftigen Generationen. Es heißt, wer ein Leben rettet, der rettet die ganze Welt. Wer ein Menschenleben nimmt, der zerstört die Ordnung dieser Welt. Deshalb wollen wir an die ganze Welt, an alle ihre Völker, an alle Menschen den Aufruf richten: Nie mehr Fanatismus und Gewalt. Nie mehr Krieg und Mord.“
Der bei der zentralen Gedenkfeier in Auschwitz-Birkenau verlesene Appell ist auf der Wawel-Burg in Krakau von Politikern, Botschaftern und Friedensnobelpreisträgern aus 30 Ländern am Vortag erarbeitet worden.
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