: Forschung und Lehre
Ab heute ist das Art Ensemble Of Chicago auf Tour – zur Feier von 30 Jahren afroamerikanischer Jazz-Avantgarde ■ Von Christian Broecking
Ein Konzert des Art Ensemble Of Chicago ist wie Verirrtsein im Wald: Man mobilisiere alle Sinne und atme tief durch. Buntes Make-up, afrikanische Gewänder, Lester Bowies Weißkittel, Töpfe und Pfannen, Holz und Metall, selbstgebaute Tröten, haufenweise little instruments und Klänge aus der Stille, die zum Sturm werden.
Das 1968 gegründete Art Ensemble Of Chicago ist heute das dauerhafteste und erfolgreichste Great-Black-Music-Kollektiv. Es ging aus der Musikerselbstorganisation AACM (Association for the Advancement of Creative Musicians) hervor, die 1965 von jungen schwarzen Musikern von der South Side Chicagos gegründet wurde, um Auftrittsmöglichkeiten und Kommunikationsstrukturen für kreative Musiker und musikalischen Unterricht für Inner-city- kids zu organisieren.
Noch im Jahr seiner Gründung zog das Art Ensemble nach Paris um, in das damalige europäische Zentrum afroamerikanischer Jazzer, wo es binnen 18 Monaten zwölf Platten aufnahm. Als es nach Amerika zurückkehrte, stand dann die bis heute unveränderte Struktur und Besetzung des Ensembles fest, das nicht mehr nach dem traditionellen Chefprinzip funktioniert, wo der Bandleader die Aufgaben diktiert: Der Perkussionist Don Moye übernahm das Ressort für Administratives und Arbeitsbeschaffung, der Trompeter Lester Bowie das für Verhandlungen und Verträge, Saxophonist Joseph Jarman Public Relations, Ideengestaltung und Verbalisierung, Saxophonist Roscoe Mitchell Komposition und Arrangement.
Das Motto des Ensembles „Great Black Music – From the Ancient to the Future“ ist gelegentlich als Ausdruck eines schwarzen Gegenrassismus und Reklamierung eines schwarzen Besitzanspruches auf den Jazz mißverstanden worden. Der Bassist Malachi Favors, Koordinator für die Langzeitentwicklung des Art Ensembles, der beim Great- Black-Music-Jazz-Fest im November 94 als einziger AACM-Repräsentant in Berlin war, dazu aus heutiger Sicht: „Lester Bowie hat damals den Begriff eingebracht. Damit meinten wir unsere gesamte Musik. Rhythm & Blues, Rock, Negro-Spirituals, Gospel, Jazz, Dixie – das alles ist Great Black Music.“ Musik als Synthese aller Musikformen, Kunst als Lebenshaltung, Kreativität und Selbstverwirklichung lauten die kollektiven Formeln – „unsere Musik kann das Leben des Hörers zum Guten wenden“ der (hoch gehängte) Anspruch. Dem Vorwurf des schwarzen New Yorker Kritikers Stanley Crouch, das Art Ensemble habe lediglich Effekthascherei betrieben, sich die Gesichter angemalt, kostümiert, von Afrika und Rebellion geschwätzt, aber eigentlich nie Jazz spielen können, schmunzelt der 57jährige Favors gelassen entgegen: „Wir müssen das nicht weiter vertiefen. Es gibt in jeder Kultur Leute, die verwirrt, bewußtlos oder einfach nur unwissend sind. Auch ein Akademiker mit Doktortitel kann blind, taub und dumm sein.“
Favors gehört zur Gründergeneration der AACM, wie Jodie Christian und Fred Anderson auch, die heute im Berliner Podewil auftreten werden. Sie zählen zu den noch 45 aktiven Mitgliedern der AACM, die in diesem Jahr in Chicago zwei achtwöchige Konzertreihen und ein dreitägiges Jubiläumsfestival veranstalten wird. Ihr seit 1989 amtierender Präsident ist der 47jährige Baritonsaxophonist Mwata Bowden, der Anfang des Monats mit der AACM-Band 8 Bold Souls im Podewil und in der Hamburger Fabrik auftrat.
Bowden zeigt sich erstaunlich zuversichtlich, was die heutige Situation der AACM betrifft. Zwar könne man sich nur ein kleines Ein-Raum-Büro leisten, von dem aus der Organisationskram erledigt wird, aber nach wie vor sei der Betrieb der AACM-Schule, in die alljährlich 60 Kids zwischen sechs und 18 Jahren aufgenommen werden, gesichert. „Der wichtigste Grund für die Langlebigkeit der AACM liegt in ihrem Konzept von Informationsaustausch, Lehre und Studium zwischen den Generationen“, sagt Bowden stolz.
In der Schule werden Inner-city-kids entgeltlos von AACM-Mitgliedern unterrichtet. „Wir verstehen diese Aktivität als Service für die Community. Wir bemühen uns, die Eltern soweit wie möglich in unsere Schulaktivitäten einzubeziehen, sie sind heute unser wichtigstes Bindeglied zur Community. Bis in die siebziger Jahre hinein konnte die AACM sich noch auf eine starke community based ideology stützen. Mit der Integration splittete die schwarze Bevölkerung jedoch zunehmend. Das hatte für die schwarzen Musiker zur Folge, daß ihr Netzwerk zerstört wurde, das sich wesentlich auf die alte Black Community der South Side Chicagos stützte“, erläutert Bowden nicht ohne Wehmut.
Früher war es den AACM-Musikern nämlich möglich, aus dem Stand Neighborhood-Konzerte mit 150 Besuchern allein durch Mundpropaganda und Handzettel zu organisieren, die sie selbst verteilten. Heute ist das kaum mehr durch eine Anzeigenkampagne in den großen Zeitungen zu schaffen. Die Auftrittsmöglichkeiten für kreative Musiker in den USA seien nach wie vor nicht der Rede wert, sagt Bowden. Das Hothouse in Chicago, die Knitting Factory in New York oder Yoshi's in Oakland, das sind rare Adressen.
Dennoch habe es die AACM geschafft, sich als die Institution der Great Black Music zu behaupten. Um die heutige Akzeptanz dieser Musik zu belegen, nennt Bowden Kritikerwertungen, in denen AACM-Künstler erste Plätze belegen, und Stipendien der MacArthur Foundation an Musiker aus der AACM-Tradition wie Muhai Richard Abrams und Anthony Braxton, der gerade erst einen genius grant in Höhe von 300.000 Dollar erhielt. Aber das sind dann doch die Ausnahmen. „Wer kreative Musik machen will, muß auch im Lebenswandel kreativ sein“, sagt Bowden. „Ein starkes Kollektiv im Rücken kann da sehr hilfreich sein.“
Ohne die europäischen (und mittlerweile auch japanischen) Jazz-Festivals, Plattenfirmen, Clubs müßte die Geschichte der Great Black Music jedenfalls neu geschrieben werden. Das Art Ensemble Of Chicago drängte vor 25 Jahren auf den Jazzmarkt Europa mit einer Musik, die bis heute in Amerika als unverkäuflich gilt. Hier haben sich die Netzwerker aus der Chicagoer und New Yorker Jazz-Avantgarde eine Basis geschaffen, die ihnen regelmäßige Beschäftigung und Anerkennung garantiert. Dort präsent sein, wo die Leute leben, lautet die schlichte, aber wirksame Devise. Das Art Ensemble hat zwar keinen Plattenvertrag, aber haufenweise kleine Dinge, die groß klingen.
Jodie Christian/ Fred Anderson/ James Willis/ Kahil El Zabar- Quartet: 30. 1. Berlin, 31. 1. Hamburg. Art Ensemble Of Chicago: 6. 2. Durchhausen, 8. 2. Nürnberg, 11. 2. Berlin, 12. 2. Wuppertal, 13. 2. München.
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