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Es bleibt ein Rotzfleck

■ betr.: „Sieg der Meinungsfreude“ und „Bedingt einsatzfähig“, taz vom 18. 1. 95

Schultze-Rhonhofs hypothetischer Vergleich des Bundesverfassungsgerichtshofs mit dem Volksgerichtshof bleibt auch dann noch ein Rotzfleck, wenn der Rotzbengel als solcher identifiziert: Irgendwas bleibt immer hängen. Eine Verteidigung dieser Institution ist in diesem Zusammenhang überfällig, auch wenn man sich nicht viel Sorge um die Entwertung unseres Verfassungsorgans machen muß: Gibt es doch in unserer Republik durch die mehr als vierzig Jahre ihres Bestehens keine staatliche Institution, die ein solches Ausmaß an Integrität und Respekt gewinnen konnte, wie das BVerfG.

Es erreichte dieses Ansehen aufgrund der salomonischen Weisheit seiner Urteile, die Deutschland eine moralische Stabilität und Zuverlässigkeit nach innen und nach außen verliehen: Ein demokratisches Staatswesen zu sein mit kapitalistischer Wirtschaftsorientierung – was denn sonst! – und einer bedingungslosen Verteidigung der Bürgerrechte. Es beschleunigte zum Beispiel den Prozeß der Gleichberechtigung, schützte die Privatsphäre durch das berühmte Volkszählungsurteil und erwies sich als der Fels in der Brandung unserer Probleme mit der Wiedervereinigung – ohne BVerfG kein Bündnis 90 im letzten Bundestag – und unserer politischen Ratlosigkeit, wie sich das vergrößerte Deutschland in den Bund der Völker integrieren könnte.

Es war dieses BVerfG, das in den letzten zwei Jahren eine beachtliche Erweiterung des militärischen Handlungsraumes unserer BRD als verfassungskonform legitimierte und den Tucholsky-Aufkleber als zulässige Meinungsäußerung deckte. Ich vermute, daß es mit dem Soldatenurteil mehr bezweckte als die bloße Verteidigung des Artikels 5:

Militärische Macht ist Tötungsmacht, die sich bei jedem Einsatz demokratisch legitimieren muß, denn Mißbrauch von Tötungsmacht, jegliche Tötung von Soldaten, jedes Opfer eigener Soldaten oder von Zivilpersonen in einem nichtlegitimierten Einsatz ist ein Kriegsverbrechen, ist Mord.

Demokratische Legitimation entsteht aber nicht nur durch parlamentarische Abstimmungen, sondern auch im Konsens des „Volkes“ mit solchen Abstimmungen, denn „alle Macht geht vom Volke aus“. Das Volk aber bildet sich nun einmal sein Urteil auf dem Wege der freien Meinungsäußerung.

Der Grat zwischen legitimierter Tötung und Mord in militärischen Einsätzen ist schmal: War Hitlers Krieg ein Verbrechen, die Soldaten Mittäter? Waren die DDR- Grenzschützer, die Flüchtlinge erschossen, Mörder? Sind die russischen Soldaten, die Zivilpersonen in Tschetschenien töten, Mörder?

Muß man darüber in aller Öffentlichkeit sprechen dürfen? Das BVerfG hat dies mit seinem Urteil bejaht.

Daß sich ein General bei solcher Art legitimierter Auseinandersetzung hinsichtlich jedes militärischen Auftrags Sorgen macht, ist verständlich. Nicht, weil einige seiner Soldaten unter Ehrabschneidung leiden, sondern weil andere Wehrwillige sich durch das Urteil moralisch angesprochen fühlen können: Jeder Soldat, der im Kriegsfall sich ernsthaft überlegt, ob diesmal die Tötung legitimiert ist oder einem Mord gleichkommt, ist ein potentieller Deserteur. Dies richtig voraussehend, fürchtet der General um die Moral der Truppe.

Mit „Hau-Ruck-Urteilen“ wie dem, daß das BVerfG hypothetisch mit dem Volksgerichtshof verglichen werden könne, schafft sich die militärische Führung in Deutschland die Probleme innerhalb der Truppe freilich nicht vom Hals. Dazu lahmt der Vergleich denn doch zu arg: Das BVerfG als Volksgerichtshof? Sein ehemaliger Präsident, Roman Herzog, somit Freisler vergleichbar? Dégoutant. Prof. Dr. Helmuth Zenz, Ulm

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