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Freiheit und ihre Laster

Zigarettenriesen in Ungarn: „Einheimisches nicht verdrängen, sondern verfeinern“  ■ Aus Wien Karl Gersuny

An das Laster wird man auf Schritt und Tritt erinnert: Zigarettenwerbung, wohin das Auge schaut. Ob in der Budapester U-Bahn, im Kino und Theater, am Arbeitsplatz oder im Wartezimmer bei Behörden, überall wirbt die mächtige Tabaklobby für ihre weißen Glimmstengel. Wen wundert es, daß die Ungarn weltweit zu den stärksten Rauchern gehören – 34.000 Menschen sterben jährlich an den Folgen des Tabakkonsums. Die Weltgesundheitsorganisation WHO ließ errechnen, daß das Magyarenland pro Kopf der Bevölkerung die meisten Todesfälle zu beklagen hat, knapp vor Polen, weit vor den westeuropäischen Spitzenreitern Frankreich und Italien. Doch anders als bei den Nachbarn Slowenien, Slowakei, Tschechien und Polen gibt es kaum Maßnahmen, um gegen die schwarze Lungenepidemie vorzugehen. Wenige Restaurants haben die zu kommunistischen Zeiten obligatorischen Nichtraucherzonen beibehalten, und selbst wer in öffentlichen Verkehrsmitteln kurz zur Zigarette greift, wird kaum schief angesehen.

Zur Freiheit gehöre Tabakgenuß, dichten nicht nur die Werbetexter von Philip Morris oder Reemtsma, auch die meisten Ungarn glauben daran. So wußten schon die Kommunisten, daß eine Erhöhung der Steuer auf Tabakwaren und alkoholische Getränke in der Bevölkerung große Unruhe auslösen würde – und sie ließen es bleiben. Nach wie vor kostet eine Schachtel heimischen Krauts um eine Mark, Westprodukte liegen um das Doppelte bis Dreifache höher. Dabei kann sich die Auswahl sehen lassen. Jeder Kiosk, jede Kinokasse, jedes Kantinenbüffet bietet Winstons und Camel, in gutbestückten Supermärkten fehlt es nicht an exotischen Sorten von der amerikanischen Mentholzigarette Salem bis zu den indischen Biddies. Für Nachschub sorgen die internationalen Zigarettenriesen Philip Morris, RJR Nabisco und B.A.T. Alle drei Konzerne unterhalten in mehreren Städten Ungarns eigene Produktionsstätten und beliefern von hier aus den exsowjetischen Markt, aber auch Österreich, Exjugoslawien und Italien. Seit sechzehn Jahren produziert Philip Morris zusammen mit der ungarischen Tochterfirma Egri Dohanygyar aus den US-Tabaksorten Samara und Auto Vaz an der südlichen Donau für den gesamteuropäischen Markt mehrere Marlboro-Sorten. Und RJR Nabisco stellt Reemtsma-Produkte in Verbindung mit ungarischen Tabaksorten für die Länder Südosteuropas her. Heimische Produkte kommen dabei auch nicht zu kurz.

Denn die internationalen Konzerne sind bemüht, die traditionellen Marken nicht zu verdrängen, sondern „nur zu verfeinern“, wie es im Branchenjargon heißt. Einem internen Positionspapier zufolge rechnen die drei Westkonzerne auch damit, ihren Marktanteil bei der ungarischen Zigarettenherstellung bis zum Jahre 2000 auf über 80 Prozent auszubauen und eine Steigerung der Gesamtproduktion um sieben Prozent zu erreichen.

Anders als in Polen und Tschechien, wo Zigaretten nicht mehr überall frei verkäuflich sind und Tabakwerbung an öffentlichen Plätzen untersagt wurde, haben Nichtraucher in Ungarn einen schweren Stand. Zwar gibt es neuerdings in Budapest ein Ministerium für geistige Gesundheit, doch Minister Andras Veer plagen ganz andere Sorgen. Seit Jahrzehnten liegen die Magyaren beim Selbstmord weltweit an erster Stelle und bei der Trunksucht mit an der Spitze. Erst müsse er diese Probleme in den Griff bekommen, sagt Veer, dann könne er sich auch verstärkt der Nikotinsucht zuwenden – wenngleich zwischen den Süchten ein Zusammenhang bestehe.

Der Minister plädiert denn auch dafür, daß noch in diesem Jahr Zigarettenwerbung verboten und der Erwerb nur noch über Automaten abgewickelt wird. Doch das sei Zukunftsmusik, sagen Kritiker und verweisen auf den vor zwei Jahren eingeführten Nichtrauchertag am 17. November. Gerade um acht Prozent sei 1994 an jenem Tag der Verkauf von Tabakwaren zurückgegangen, ließ das Gesundheitsministerium errechnen. Trotz massiver Kampagnen hätten die Raucher nicht seltener zum Glimmstengel gegriffen als an anderen Tagen.

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