: Bei „Libé“ wird wieder gespart
■ Die Reform der Zeitung hat kaum neue Leser gebracht
„Wie leben, ohne von Illusionen geblendet zu sein?“ fragte die französische Tageszeitung Libération am Montag in einem „Brief an die Leser“ — zwei Tage nachdem das Blatt ein Sparprogramm beschlossen hatte. Offenbar war man vor vier Monaten bei Libé selber der Illusion aufgesessen, mehr Seiten und ein neues Layout würden dem Blatt, das einst von französischen 68ern unter der Ägide von Jean- Paul Sartre gegründet worden war, die LeserInnen scharenweise zutreiben. Fürderhin wird die Zeitung wieder mit weniger Seiten erscheinen, einige MitarbeiterInnen entlassen und voraussichtlich die Preissenkung von 7 auf 6 Francs rückgängig machen.
Seit der Rundumerneuerung von Libé im letzten September erscheint das Blatt in einem größeren Format, Farbdruck, mit neuen Rubriken, einer illustrierten Samstagsbeilage und dem Anspruch, eine „Qualitätszeitung wie die New York Times“ zu sein. Libé wollte für seine LeserInnen alle Themen abdecken — „von der Matratze bis zu Ruanda“, wie Chefredakteur Serge July sagt.
Die Reform sollte mit einer Kapitalaufstockung einhergehen, die das Blatt bitter nötig hatte. Seit Jahren stagnierte seine Auflage bei 170.000 Exemplaren, die Anzeigeneinnahmen gingen zurück. Die MacherInnen suchten 200 Millionen Francs (ca. 60 Millionen DM). Für 75 Millionen Francs hatten sich bis September InvestorInnen gefunden — die übrigen 125 Millionen erhoffte sich Libé bis zum Jahresende. Doch die allgemeine Krise bei den französischen Printmedien und der bittere Konkurrenzkampf mit Le Monde, die auch gerade für ihre Blattreform Kapital braucht, gestaltet die Suche nach Investoren schwieriger als gedacht.
Skeptischer als erwartet war auch die Reaktion der LeserInnen auf die neue Libé. Nur in den ersten beiden Wochen nach der Reform verkaufte die Zeitung 40 Prozent mehr als gewöhnlich. Nachdem sich die erste Neugierde gelegt hatte, sank die Pariser Auflage — der wichtigste Absatzmarkt aller nationalen Zeitungen Frankreichs — wieder auf den Stand vor der Reform. Nur in der Provinz stiegen die Verkaufszahlen leicht.
So erwartet Libé in diesem Jahr Verluste in Höhe von 33 Millionen DM. Von der Konkurrenz lancierte Gerüchte, Libé werde nach den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr das Erscheinen einstellen, dementierte die Zeitung selbstverständlich. Doch intern ist von über 40 Entlassungen die Rede. Als Ursache für das Scheitern der Reform nennt Chefredakteur July ein ganz menschliches Phänomen: „Je mehr man ändert, desto länger dauert die Gewöhnung der Leser.“ Dorothea Hahn, Paris
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