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Von Lassie lernen ...

... heißt siegen lernen! Tierfilme wie „Immer Ärger um Dojo“ boomen  ■ Von Karl Wegmann

Es gibt in Hollywood ein paar Formeln, nach denen Kassenhits berechnet werden. Sex + Crime + Action ist zum Beispiel eine ziemlich gute. Eine noch bessere lautet: Kind + Tier + Star. Mit dieser Kombination lassen sich monströse Profite erzielen. Denn: Von Lassie lernen heißt siegen lernen.

Nach diversen Dauerbrennern wie Hunde, Katzen, Pferde, Delphine und mutierten Schildkröten gehen sie nun auch ans etwas sperrige Getier. Da hatten wir zum Beispiel einen Orca („Free Willy“), einen Seelöwen („André“), und jetzt kommt in „Immer Ärger um Dojo“ ein Kapuzineraffe zum Einsatz.

Die Geschichte mit Dojo (Original: „Monkey Trouble“) ist niedlich – was sonst! Das Äffchen gehört dem schmierigen Schausteller Shorty (Harvey Keitel), der hat das Tier zum Taschendieb ausgebildet und bringt es an der Promenade von Venice Beach verschärft zum Einsatz. Eines sonnigen Tages werden zwei Mobster auf Dojos Talent aufmerksam, sie bieten Shorty („I'm a poor gipsy“) einen Haufen Geld, wenn sein Affe einen Job für sie erledigt. Shorty ist einverstanden, Dojo nicht. Er haut ab und flüchtet in die Arme der kleinen Eva (Thora Birch). Die wollte eigentlich einen Hund, aber ein Affe ist natürlich besser. Allerdings halten ihre Eltern nichts von Haustieren, also muß sie Dojo verstecken. Als Eva hinter die Klauerei ihres neuen Freundes kommt, startet sie ein gnadenloses Umerziehungsprogramm, während Shorty ein ebenso furchterregendes Suchprogramm beginnt.

Alles drin, was Kindern und Eltern Freude macht: Ein tierliebes Mädchen, ein böser Bube, ein putziges Tier, abenteuerliche Verfolgungsjagden und ein paar stubenreine Witze. Für die Erwachsenen haben wir Mimi Rogers (sie spielt die Mutter) und einen wie immer brillant agierenden Harvey Keitel, außerdem ist der Produzent von „Dojo“ (Regie: Franco Amurri) niemand geringeres als Star-Regisseur Ridley Scott. Klasse Familienfilm also, oder?

Eltern mit einer humanistischen Erziehung sehen sofort das Haar in der dünnen Suppe. Denn das Tier als Helfer und Beschützer des Menschen ist natürlich ein Mythos, der weit in die Geschichte der Menschheit zurückreicht. Gegenüber dem Sagen- und Märchenbild vom helfenden Tier unternimmt der moderne Unterhaltungsfilm jedoch eine perverse Korrektur. Das Tier im Film ist nicht mehr ein eigenständiges Wesen, das aus freien Stücken oder als Abgesandter der Götter oder des Schicksals dem in Not geratenen Menschen seine Hilfe gewährt, um dann so plötzlich zu verschwinden wie es gekommen ist, nein, das Filmtier beweist seine Nützlichkeit aufgrund seiner Gelehrigkeit, seiner Unterwerfung unter den Menschen. Pädagogisch vorgebildete Eltern, die einst A.S. Neill verehrten, könnten gar noch sehr viel Schlimmeres entdecken. Denn im Verhältnis des Film-Kindes zum Film-Tier wiederholt sich der Dressurakt, der in der Beziehung zwischen Eltern und Kind angelegt ist. Wenn die Film-Eltern das Film- Kind immer wieder an die Verantwortung gegenüber dem Film-Tier erinnern und ihm die Dankbarkeit des Tiers vor Augen führen, so deuten sie damit auch das Verhältnis zwischen ihnen und dem Kind. Und: Der einzige Lebenszweck des Film-Tiers ist es, durch Unterwerfung Anerkennung und Liebe bei den pflegenden Menschen zu erringen.

Das alles ist selbstverständlich überaus verwerflich. Aber helfen solche Analysen, aufgeklärte Eltern und ihre Brut von leichten Tierkomödien wie „Dojo“, die, zugegeben, eine Menge Spaß machen, fernzuhalten? Natürlich nicht. Im Gegenteil. Die Zuschauer strömen, Kinderfilme blockieren wochenlang die Kinos. Und es werden immer mehr. Längst ist die Flut der braven Familienfilme kein kurzlebiger Trend mehr, sondern eine langfristige Schwerpunktverschiebung in Hollywoods Basis-Strategie. Im September 1992 legte der Marktforscher Paul Kagan eine Statistik vor, die besagte: 100 Millionen Dollar können dreimal wahrscheinlicher von PG-Filmen (frei ab 13) eingespielt werden als von R-Filmen (ab 17) – respektive doppelter Wahrscheinlichkeit bei der 60-Millionen-Grenze. Kagans Untersuchung war fortan die neue Bibel Hollywoods. Fast alle Stoffe wurden auf ihre Jugendtauglichkeit geprüft und notfalls abgeschwächt. So wurde Michael Crichtons Buch „Jurassic Park“ zum Beispiel für die Spielberg-Version erheblich entschärft. Produzent Scott Rudin („Das Wunderkind Tate“) bringt es auf den Punkt: „Wenn ich einen Zehnjährigen für einen Film begeistere, dann verkaufe ich nicht nur das Ticket an ihn, sondern gleich fünf an seine Freunde und drei an seine Familie mit.“ Und der ehemalige 20th-Century- Fox-Chef Joe Roth kalkuliert: „Sicher gehen auch Familienfilme baden, weil sie nicht die richtige Formel haben. Es reicht heute nicht mehr, zielgruppengerecht zu produzieren. Man muß Material finden, das auch den Eltern gefällt, die ihre Sprößlinge ins Kino begleiten – das ist dann perfekte Unterhaltung.“ Keine Altersgruppe ist mehr ausgeschlossen. Kinder neigen dazu, sich Filme mehrmals anzuschauen, und ihr globaler Geschmack differiert im Zeitalter von MTV nur geringfügig. Die Herstellung dieser Schinken ist billig. Kinder und Tiere bestehen selten auf einer Gewinnbeteiligung. Wohl aber die Stars. Die drängen sich dann auch geradezu, um in Familienfilmen mitspielen zu dürfen und für wenig Arbeit kräftig abzusahnen.

Alles begann mit „Lassie“ – das haben sie in Hollywood nicht vergessen. Noch in diesem Jahr wird ein neues, nachmittagfüllendes Lichtspiel mit der Collie-Hündin in die Kinos kommen. 1943 lief die erste Lassie-Folge im Fernsehen, insgesamt haben sie sechs Collies (ohne den neuen) und zwei „stunt dogs“, Extra-Lassies, die die besonders gefährlichen Szenen doubelten, „verbraucht“. Wir beten – nichts anderes bleibt – zu Greenpeace und den Hopi-Indianern, daß dieses Schicksal Dojo und den Kapuzineräffchen erspart bleibt.

Franco Amurri: „Immer Ärger um Dojo“. Mit Harvey Keitel, Finster (Dojo), Mimi Rogers u.a.; USA 1994, 96 Min.

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