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Frankenstein-Package komplett

■ Ein Fremdenverkehrsmonster für das kreisfreie oberbayerische Ingolstadt

Es ist selbst den Filmgängern und Schauerromananhängern nicht so gewärtig, daß Mary W. Shelley ihren Gruselroman von 1818 zum Teil in Ingolstadt spielen läßt. Sie selbst hatte die Stadt zwar nie besucht, aber sie wußte, daß es dort seit 1472 (bis 1800) eine Universität gab, an der sehr früh Autopsien vorgenommen wurden und an der sich hochmögende Gelehrte aus aller Herren Länder mit den Humanwissenschaften befaßten.

Was im Roman der in Ingolstadt arbeitende Genfer Gelehrte Victor Frankenstein mit Blick auf seinen künstlichen Menschen ausruft: „neue Wege erschließen, unbekannte Kräfte erforschen!“, das will das Ingolstädter Fremdenverkehrsamt nun auf die Reisenden umlegen. Dabei hat man von den Rumänen gelernt, die längst in größerem Stil dazu übergegangen sind, Graf Dracula zum illegitimen Nationalsymbol auf immer neuen Erlebnis-Pfaden aufzubauen.

Nach dem Besuch des in der ehrwürdigen alten Anatomie untergebrachten Deutschen Medizinhistorischen Museums, der alten Studentenkneipe und des Liebfrauenmünsters (15./16. Jahrhundert) soll es nun etwas geben, das moderne und wagemutige Reiseunternehmer als „Frankenstein- Package“ bezeichnen.

Der Direktor des Fremdenverkehrsamtes, Gerd Treffer, hätte gerne die Deutschlandpremiere des Films an sich gezogen, wenn Robert De Niro, der Darsteller von Frankensteins Monster, Ingolstadt die Ehre gegeben hätte. Nach einigen Verhandlungen bekam jedoch Treffer das Gruseln: Der Star wollte nur erscheinen, wenn die Stadt neben den Reisekosten (Hin- und Rückflug erster Klasse) den Verdienstausfall für vier Tage bezahlt hätte; dieser fiktive Verdienstausfall hätte, grob geschätzt, etwa 570.000 Mark betragen. Die Stadt lehnte ab. Daß sich der amerikanische Verleih Columbia TriStar nicht für ein üblicherweise ihm zufallendes diesbezügliches Arrangement entschließen mochte, mag wohl an den enttäuschenden amerikanischen Kinokassen liegen: Der 44 Millionen Dollar teure Film des britischen Nobelregisseurs Kenneth Branagh spielte in sechs Wochen knapp über 22 Millionen Dollar ein; das beläßt dem Studio etwas über sieben Millionen Dollar und buchstabiert sich: F.l.o.p.

Nicht nur die Kritik bemängelte so dies und das und allerhand. Das Publikum bestätigte das Verdikt an den Kinokassen. Das US-Wochenmagazin Time befand, De Niros Monster sehe aus wie ein alternder Marlon Brando, dem man den Kopf zusammengenäht hat, und setzte über seine Kritik den Satz: „Wo bist du, Boris Karloff?“ Das klassische Karloff- Make-up darf niemand benutzen, weil es Eigentum von Universal Pictures ist.

All dies kann Ingoldstadt von der Nutzung Frankensteins nicht abhalten. Schon lesen die Fremdenführer einschlägige Literatur und wappnen sich für neugierige Touristenfragen. Briefe kommen bereits aus aller Welt, die meisten aus Amerika. Ein Frankensteinkeller soll eigens als Gruselkabinett eingerichtet werden, und ab Juni gibt es Führungen mit Titeln wie „Geschichtliche Hits für Kids“ oder „Auf den Spuren Frankensteins“. Bereits im Juni 1993, als vom Film noch keine Rede war, fand in Ingolstadt ein Frankenstein-Symposium statt. Dort gab es neben tiefernsten, hochmögenden Referaten wie „Erzählstruktur und Ambivalenz in Frankenstein“ oder „Die Frankenstein-Rezeption in der Rocky Horror Picture Show“ auch Malwettbewerbe für SchülerInnen, bei denen die greulichsten Horrorköpfe entstanden.

Der Name Frankenstein hat übrigens im Laufe der Zeit, bedingt vor allem durch die frühen amerikanischen Gruselfilme, ein Eigenleben entwickelt. Jedermann nennt den von Baron Frankenstein aus Leichenteilen geschaffenen namenlosen Kunstmenschen fälschlich Frankenstein. So hat die Kreatur auch im wahren Leben ihren Schöpfer zerstört. Erich Kocian

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