piwik no script img

Im Gedenkjahr endlich Konsequenzen ziehen

■ Opposition will Rehabilitierung von NS-Militärjustiz-Opfern

Bonn (taz) – Zwei Mal war in den beiden letzten Legislaturperioden im Bundestag der Versuch gescheitert, die Opfer der NS-Militärjustiz umfassend zu rehabilitieren und angemessen zu entschädigen. Erst im 50. Jahr nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs scheint die Zeit nun reif dafür, daß die Abgeordneten auch den vielen hingerichteten Deserteuren, Kriegsdienstverweigerern und „Wehrkraftzersetzern“ des „Dritten Reiches“ eine späte, symbolische Gerechtigkeit widerfahren lassen und den wenigen hundert Überlebenden eine materielle Entschädigung zusprechen.

Darauf setzen zumindest die Abgeordneten von Bündnis 90/ Die Grünen, die wenige Tage nach einem Antrag der SPD-Fraktion gestern einen eigenen Antrag zur Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer der NS-Militärjustiz in den Bundestag eingebracht haben.

Für den innenpolitischen Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Volker Beck, ist es ein „rechtspolitischer und moralischer Skandal“, daß die Urteile wegen Desertion, Kriegsdienstverweigerung und „Wehrkraftzersetzung“ bis heute gültig sind. Fast 50.000 Todesurteile haben seinen Angaben zufolge die deutschen Militärgerichte zwischen 1933 und 1945 verhängt.

Im vergangenen Jahr scheiterte eine parlamentarische Initiative zugunsten der Deserteure im Bundestag, weil die Mehrheit kurz vor Ende der Legislaturperiode den Antrag der Opposition an die Ausschüsse zurückverwies, obwohl auch viele Regierungsabgeordnete ihre Unterstützung signalisiert hatten. Kurz vor den Bundestagswahlen aber sollten offenbar konservative Wähler nicht düpiert werden.

In den kommenden Monaten aber „sind die Chancen für eine Mehrheit so gut wie später niemals mehr“, glaubt der Grünen-Abgeordnete Winfried Nachtwei, Mitglied im Verteidigungsausschuß. Sein Argument: Im Jubiläumsjahr der Befreiung vom Nationalsozialismus schaue das Ausland auf Deutschland, der Umgang mit NS- Urteilen werde zum „Glaubwürdigkeitstest“ der Demokratie. Auch wollen die Befürworter des Antrags sich bemühen, „mutwillige Mißverständnisse“ (Nachtwei) möglichst auszuräumen und ideologische Fronten abzubauen, die bislang die Auseinandersetzung zum Thema beherrschten. So versicherte Nachtwei gestern, der Desertion bei der Bundeswehr solle mit der Initiative keineswegs das Wort geredet werden. Der Berichterstatter der SPD-Fraktion im Rechtsausschuß, der Abgeordnete Volker Kröning, will im Interesse des Themas „ausdrücklich auf CDU-Abgeordnete zugehen“.

Der SPD-Antrag hat in den Augen der Bündnisgrünen den Nachteil, daß er im Entschädigungsteil „wachsweich“ und in seiner historischen Würdigung „schlapp“ (Volker Beck) ausgefallen sei. Dagegen nehmen die Grünen für den eigenen Antrag in Anspruch, daß er konkrete und schnelle Wege der Entschädigung aufzeige. Volker Beck: „Einer muß das vertreten, was den Opfern eigentlich zusteht.“

Schon jetzt lassen die Grünen allerdings erkennen, daß sie sich einer Mehrheitslösung nicht unbedingt verschließen würden. Zuversichtlich ist auch der SPD-Abgeordnete Volker Kröning hinsichtlich des Grundanliegens: „Ich sehe das mit ernstem Optimismus.“ Hans Monath

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen