: Ein Tisch für Karl Valentin
Kennen Sie das Geheimnis des 10-Tassen-Aromaster von Braun? Allan Wexlers Low-Tech-Lösungen im Martin-Gropius-Bau gelten für „kleine Gebäude, Möbel und Utensilien“ ■ Von Brigitte Werneburg
Hatte das 19. Jahrhundert die Welt sündigerweise mit einer Masse völlig überflüssigen Dekors überschwemmt, so vermeinte die bußfertige Moderne des Industriedesigns, das Heil läge darin, die Welt mit funktionellen und garantiert ornamentfreien, überflüssigen Produkten zu überschwemmen. Zum Beispiel Kaffeemaschinen: Da gibt es zweifellos schöne Exemplare, deren Anblick uns dennoch zutiefst zuwider ist. Nackte Plastikzylinder von einer unerklärlichen Fruchtbarkeit.
Allan Wexler, er sei dafür gelobt und gepriesen, hat eine dieser Maschinen entsorgt. Nicht eigentlich eine, sondern die Kaffeemaschine schlechthin, „Braun Aromaster“. Das Resultat ist im Werkbund-Archiv als „Structures for Reflection, kleine Gebäude, Möbel und Utensilien“ zu bestaunen. Wexler, der an der Parsons School of Design in New York Architectural design unterrichtet, hat den 10-Tassen-Aromaster auseinandergenommen, um jedes seiner Einzelteile, und sei es auch das winzigste Stück Draht, an den Wänden eines großen Holzkoffers zu befestigen – Zange und Schraubenzieher inklusive. In der Vitrine daneben hat er seine Alternative für „Eine Tasse Kaffee“ dargelegt. Eine Blechdose hängt dank einer primitiven Haltevorrichtung über einer Kerze; daneben steht eine große offene Pappschachtel, in die wiederum viele kleine Pappschachteln sortiert sind; sie tragen Aufschriften wie „1 match“, „candle“, „1 tsp. sugar“, „dry milk“ oder „ground coffee beans“. Man sieht einen Kaffeefilter, eine kleine Flasche Mineralwasser und eine Serviette. So kommt man auch zu seiner Tasse Kaffee.
Wer meint, das sei umständlich, der sollte noch mal einen Blick in den Koffer der zerlegten Braunmaschine werfen. Dort zeigt ein Fotostreifen in anschaulicher Sequenz, wie man die Maschine zusammenschraubt, um nach einigen Mühen ebenfalls vor der dampfenden Tasse Kaffee zu sitzen. Wexlers „Neugebaute Braun-Kaffeemaschine“ macht daneben einen ziemlich fragmentierten Eindruck, oder, wie Wexler eine andere Installation beschreibt: „Kaffee sucht sich (eben) sein eigenes Niveau“. Auf einem Tisch mit weißer Leinendecke stehen vier durch Schläuche balancierend verbundene Kaffeetassen. An diesem Tisch saßen vier Personen, die Tassen waren gefüllt, der erste hob seine Tasse, dem zweiten lief sie über; das dokumentieren ein verkleckertes Tischtuch und unterschiedlich gefüllte Tassen.
Anstatt über die Idee der Architektur zu sinnieren, wie es Architekten tun, die sich gerne als Künstler sähen, hat der Künstler Wexler eine unglaubliche Menge ebenso dreister wie erhellender Ideen zur Architektur. Sein „Kistenhaus“ ist der berühmt-berüchtigte White Cube, der nun vier Räume, Küche, Badezimmer, Schlaf- und Wohnzimmer enthält. Der Charme dieser gleichwohl penibelst ausgeführten Bastelarbeit ist bezwingend, voller melancholischen Ordnungswahns.
Allerdings passen die Containerräume nicht ganz in den Würfel, sondern drängen heraus. Leben, wohnen, denken sind eben keine Installation-art, die Galerie und das Museum aber ein eminent gefährlicher Ort für den Architekten. Darüber kommt man ins Nachdenken, wenn man ein weiteres Mal auf das Motiv der raumsprengenden Räume stößt. Wexlers „Vorschläge für das Normhaus“ beinhalten auch den, die Räume als eigenständige Häuser im Haus zu betrachten. Aber anders als der symbolische Sakral- Kitsch des zentralen Tabernakel(-hauses) im Haus, der einen Ungers im Frankfurter Architekturmuseum übermannte, stoßen Wexlers Raumhäuser schräg von außen in das Haus hinein. Sie bilden die rudimentäre Szene eines Platzes, auf den die imaginären Straßen entlang ihrer Außenwände zulaufen.
Nicht Andacht, sondern Kommunikation ist das Axiom dieser architektonischen Überlegungen. Nicht Stil, sondern Konstruktion und Gebrauch sind der Anlaß für einige dieser rasanten Donquichotterien. Die New Yorker Kunstexpertin Kim Levin befindet auf der Einladungskarte, daß Wexlers Low-Tech-Lösungen „eine Aura triumphal überwundener Fehler“ ausstrahlen.
Etwa der „Geschirr-Nivellier- Baukasten“: Man nehme einen Tisch mit einem fatalen Fehler, nämlich dem, schräg zu stehen; dann einen Koffer voller wohl sortierter Holzkeile unterschiedlicher Länge und Stärke – und schon ist es kein Problem mehr, den Tisch zu decken. Den passenden Holzkeil unter die Gabel geschoben und drei passende Keile unter den Teller – die Schüssel braucht noch mehr, das Glas flachere – und die Sache funktioniert wieder. Das Arrangement sieht dazu noch wunderhübsch und sparsam-zweckmäßig aus. Karl Valentin hätte diesem Tisch jede Die-Gute-Form-Auszeichnung für funktionales Design verliehen. Zu Recht. Spannend wäre es, wenn das Planungsniveau in Berlin mit Hilfe kommunizierender Ausstellungen ähnlicher Qualität neu austariert würde. Denn im Zustand seiner Hauptstadtmetamorphose scheint man hier bekanntermaßen das Wexler- Programm eher umgedreht anzuwenden, nämlich dumme Fehler in triumphalem Gestus zu begehen.
Bis 26.2. Werkbund-Archiv, Martin-Gropius-Bau, Stresemannstr. 110, Di.–So. 10–20 Uhr.
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