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Der natürliche Feind der Wüste

Im Namib-Naukluft-Park im Südwesten Namibias bemüht sich ein Park-Ranger um Schadensbegrenzung: Entwicklung ja, aber nicht auf Kosten „seiner“ Dünen  ■ Von Henk Raijer und Gunda Schwantje

Ist er nicht ein prima Kompromiß zwischen Tourismus und Naturschutz, unser Höllentrip aufs Hochplateau?“ Im Schneckentempo, beide Hände konzentriert am Lenkrad, quält Peter Bridgeford seinen wendigen Jeep den Hang hinauf, kiloschwere Felsbrocken donnern, von den wuchtigen Reifen verdrängt, in den Abgrund. Oryxantilopen, Zebras, Springböcke und Paviane suchen verschreckt das Weite. Was sonst im gesamten Namib-Naukluft-Park im Südwesten Namibias ausdrücklich verboten ist: die Schotterpisten zu verlassen – im Revier des principal conservation officers Bridgeford werden Allrad- Fetischisten zu diesem Frevel geradezu ermuntert. Gegen Bares, versteht sich.

Denn seit die Gelder im 1990 unabhängig gewordenen südwestafrikanischen Staat nicht mehr so selbstverständlich fließen wie zu Zeiten der „Mandatsherrschaft“ Südafrikas (1915–1989), geht der Naturschutz seltsame Wege. Aber Wildhüter Bridgeford ist Realist: „Ihren Kick ziehen viele Namib- Besucher ohnehin längst nicht mehr aus Wüste und Großwild“, spricht der Endvierziger aus Erfahrung, „die Herausforderung Natur besteht für diese Leute doch nur darin, ihre unterforderten Geländewagen auszuführen.“

Rauf und runter geht's, durch Schluchten und ausgetrockneten „riviere“ (afrikaans: Flüsse). Gnadenlose afrikanische Dezembersonne – eine Kostprobe des „Abenteuers Wildnis“, das Bridgeford seinen Kunden für 200 Namibia-Dollar (ca. 95 Mark) offeriert, Übernachtung auf dem Hochplateau inklusive. „Klar, die Strecke ist eigentlich unbefahrbar“, meint er mit einem Grinsen, „aber verglichen mit dem Gelände drumherum fast schon wie ein ,teerpad‘ (Asphaltstraße). Dort kommt nicht mal mehr ein Allradantrieb weiter. Und das hat doch was für sich, oder?“

Bis 1989, als die Buren in der früheren deutschen Kolonie bestimmten, wo's lang ging, war Geld beim Naturschutz nie ein Thema gewesen. Seit der Einführung der Apartheidgesetze auch in „Südwest“ (Mitte der 60er Jahre) erfreuten sich Elefanten, Löwen, Leoparden und Nashörner in ihren Reservaten größerer Fürsorge als etwa die Hunderttausenden von Herero, Damara, Nama und Ovambo in ihren jeweiligen „Homelands“.

Das ist seit der Übernahme der Regierungsgeschäfte durch die ehemalige schwarze Befreiungsorganisation Swapo anders; die seit 1990 amtierende (und jüngst bestätigte) Regierung Sam Nujomas hat andere Prioritäten. Aus verständlichen Gründen sind heute Arbeitsplätze, Gesundheit, Wohnen und Ausbildung wichtiger. „Es ist gut, daß die koloniale Zeit endlich vorbei ist“, sagt der gebürtige Südafrikaner Bridgeford. Leider habe er seither in seinem Ressort mit Mangelwirtschaft und geringer Motivation seiner schwarzen Angestellten zu kämpfen. „Daß Überstunden bezahlt werden, ist heute selbstverständlich im neuen Namibia. Doch wo ich das Geld für meine Leute hernehme, kümmert die in Windhuk herzlich wenig.“

Namibia hat das notwendige Potential, aus dem Tourismus Kapital zu schlagen – einzigartige Landschaften wie die weltberühmten Dünen der Namib-Wüste, die Skelettküste, das Kaokaland, das Großwild der Etoscha-Pfanne sowie die verschiedensten Völker und Kulturen ergeben ein sogenanntes hochwertiges touristisches Produkt. Als Wildhüter liege ihm zwar primär der Tierschutz am Herzen, so Bridgeford. Doch könne er sich der Notwendigkeit wirtschaftlicher Entwicklung nicht verschließen. „Unser Land braucht Entwicklung“, so der Parkranger, „was sonst außer ein paar Mineralien haben wir denn.“ Der Tourismus sei groß im Kommen, nur dürfe man die Kapazitäten der Natur- und Wildparks auf keinen Fall überstrapazieren.

Namibia ist „in“, und welcher Besucher hat nicht schon lange davon geträumt, die orangefarbenen Dünen von Sossusvlei, die höchsten der Welt, in natura zu bestaunen. Doch was noch vor wenigen Jahren das bescheidene Restcamp Sesriem war, in dem etwa zwanzig Zelte unter Akazien parkten, ist heute Ausgangspunkt für täglich Hunderte von Hobbyknipsern und Freizeitfilmern, die es sich nicht nehmen lassen, pünktlich zum Sonnenaufgang die fotogene „Düne 45“ mit eigenem Gefährt anzusteuern. Auf der 80 Kilometer langen Schotterpiste von Sesriem zur Lehmsenke Sossusvlei, die nur am Tage befahren werden darf, klebt zu dieser Stunde Stoßstange an Stoßstange, zum Frühstück gibt's jede Menge Staub umsonst.

Was den für das dortige Wild zuständige Aufseher Bridgeford jedoch mehr Sorgen macht, ist die Wasserknappheit. „Schon seit vier Jahren hat es keinen ernst zu nehmenden Niederschlag mehr gegeben“, sagt er, im neuen Nobelhotel vor den Toren des Restcamps Sesriem jedoch vergnügten sich die Gäste ungehemmt am hauseigenen Pool. „Was mich wirklich ärgert, ist, daß die meisten Touristen nicht einen Gedanken daran verschwenden, wie selten und kostbar Wasser in der Namib ist, welch verletzliche Landschaft sie betreten, welchen Schaden sie anrichten, wenn sie mit ihrem nagelneuen Allradantrieb forsch querfeldein rasen, Apfelsinenschalen im Wüstensand zurücklassen. Nichts vergeht in der Namib.“

Namib, die „große Leere“. Nur wenige Lebewesen sind so „spezialisiert“, daß sie in dieser kargen und heißen Sandwüste überleben können. „Die Tiere haben sich erstaunlich gut angepaßt“, weiß Bridgeford. Durch ihre enorme Mobilität hätten neuerdings aber auch Menschen vermehrt Zutritt zu Gegenden, für die sie nicht gerüstet seien, wo sie nicht Bescheid wüßten. Mit denen sie sich aber auch nicht wirklich beschäftigen wollten. Bridgeford hat so seine Erfahrungen mit Städtern aus aller Welt, für die meisten sei Namibias „Natur pur“ ohnehin nur ein Programmpunkt auf der prallgefüllten Shopping-Liste, die es sukzessive abzuhaken gilt.

Auch das internationale Show- und Werbebusineß hat die Dünen als Kulisse für sich entdeckt: Im Wochenrhythmus tummeln sich auf dem Dünen-Marktplatz Sossusvlei Filmcrews aus aller Welt, die Leinen-Couture von Armani macht sich in den Dünen genauso gut wie der neueste Toyota – nichts ist unmöglich. „Sogar Michael Jackson und Madonna haben sich in diesem Jahr für ihre neuesten Videoclips minutenlang der Gluthitze der Namib ausgesetzt“, schmunzelt der Mann in seinem bescheidenen Khaki-Outfit. „Solche Bedürfnisse müssen wir unbedingt zu Geld machen.“

Peter Bridgeford weiß, daß sein „Abenteuerpfad“ im Naukluft- Gebirge nicht die Lösung ist, eine perfekte Harmonie zwischen Tourismus und Naturschutz kann es nicht geben. Doch der Mann, der 1976 aus Johannesburg kam, um „nur noch draußen zu arbeiten“, ist gewillt, der neuen Realität ins Auge zu sehen. Was ihm von seinem Standort, einem beschaulichen Rangeroffice in den Naukluft-Bergen, einigermaßen leichtfällt. Detailkarten an der Wand hinter seinem Schreibtisch zeigen seinen Zuständigkeitsbereich, den nördlichen Namib-Park. Ein Jagdgewehr liegt auf dem Tisch, mehrere Feldtaschen hängen über der Stuhllehne. Der altertümliche Apparat auf seinem Schreibtisch klingelt zweimal lang, einmal kurz – das Farmtelefon, eine Leitung, an der noch zwanzig weitere Teilnehmer hängen. Diesmal nicht für ihn. Bridgeford kommt, wie er betont, besser ohne den Kontakt zur Außenwelt zurecht. „Ich finde es nicht schlimm, wenn der Apparat mal kaputt ist“, sagt er lachend, er schätze es, wenn man ihn in Ruhe arbeiten läßt: Zäune flicken, Geier ringen, Wanderwege markieren, ab und an ein Zebra schießen, Windmühlen reparieren, die Wasserstellen überprüfen. Nur ungern schreibt er Berichte „für Windhuk“. Obwohl er auch zuständig ist für den Zeltplatz in Naukluft, sieht er seine Hauptaufgabe darin, das Wild zu schützen, zu kontrollieren, ob nicht etwa Leoparden die Zäune überwinden, um sich auf einer benachbarten Farm über leichte Beute herzumachen. Für die Farmer sind das „Problemtiere“, die abgeschossen werden dürfen.

Für den Ranger sind die Menschen das Problem. Früher sei die Natur der „natürliche Gegner“ des Menschen gewesen, heute sei es eher umgekehrt; wer genügend Geld lockermacht, geht auf Safari, ohne auf seinen gewohnten Konfort zu verzichten: Ob Rundflüge über die Namib oder Gourmet- Frühstück im Skelettküstenpark – nichts ist tabu, für einen exklusiven Kreis von Urlaubern machen pfiffige Konzessionäre einiges möglich. Kein Wunder, daß der Mann, der durch und für die Natur lebt, in der Frage, ob die nach einer EU- Studie für das Jahr 2002 geschätzten 600.000 Touristen der Wüste und den Tierreservaten Namibias bekommen, eher gespalten ist. Wenn im Jahre 2010 der Diamantengigant CDM, eine hundertprozentige De-Beers-Tochter, den gesamten Küstenbereich der Namib ausgemint haben wird und damit auch das letzte Wüstenareal dem Staat zufällt, bietet sich das ehemalige Sperrgebiet zur Vermarktung geradezu an. „Selbstverständlich läßt sich die Natur länger im ursprünglichen Zustand konservieren, wenn man niemanden reinläßt. Aber warum sollten wir die Leute, die die Geisterstädte besuchen wollen, daran hindern“, fragt er sich. Die Diamantenförderung sei nun mal ein wichtiger Teil der Geschichte Namibias, und unberührt sei die Wüste dort schon seit knapp einem Jahrhundert nicht mehr. Überall, in Kolmanskuppe, Elisabethbucht und Pomona sowie auf den Pisten in und um den Minenstandort Oranjemund gebe es Spuren menschlichen Wirkens: Häuserruinen, Schienenstränge, Motoren, Pumpen, Autoreifen, Konserven und Flaschen noch aus deutscher Zeit ...

„Bergbau und Landwirtschaft haben auf lange Sicht keine Zukunft in diesem Land“, räsoniert er, „also bleiben uns nur die endlosen Weiten und die Tiere.“ Die hätten sich im übrigen schon an die Menschen gewöhnt. „Nur leider allzu oft nicht so, wie sie sollten“, schreit er plötzlich laut auf, während er aus seinem Amtszimmer stürzt und einen Pavian aus dem Vorraum verscheucht, der sich gerade an seiner Proviantkiste zu schaffen macht.

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