: Dieser süße, süße Wahn
Patricia Highsmith ist tot. Die größte unter den Krimi-Schrifstellerinnen war die unerbittliche Herrin einer sehr seltsamen Welt. Erinnerungen eines Zöglings an die Lektüre ihrer Romane, die von der Krankheit der Jugend handeln ■ Von Willi Winkler
Es gab eine Zeit, und es war eine gute Zeit, da glaubte man Peter Handke aufs Wort, entdeckte, weil er es eben getan hatte, Hermann Lenz oder Karl Philipp Moritz, las nach seiner Anleitung den „Grünen Heinrich“ von Gottfried Keller oder verabscheute aus gleichem übervollen Herzen Schillers „Räuber“. Im dunklen Januar 1975, es ist fast genau zwanzig Jahre her, schrieb Handke im Spiegel über die „Privaten Weltkriege der Patricia Highsmith“, über Bücher also, die ein halbwegs normal gewirkter Mensch niemals anfassen würde, weil es sich, wie man bis dahin glaubte, um Krimis handelte. Und Krimis, das wußte man ja, Krimis waren, wenn man die Meister – Chandler, Hammett und James M. Cain – durchhatte, einfach belanglos, Teegebäck für ältere Damen, die sich gern ein wenig gruselten. Immer wieder Mord und Totschlag, und irgendein Schlaumeier überführte den Täter mit einer raffinierten Indizienkette. Todlangweilig!
Patricia Highsmith war anders, versprach Peter Handke. Sie war vor allem plausibel. Innerhalb von drei Jahren las ich alle Bücher von Patricia Highsmith, die bis dahin erschienen waren. Die Diogenes- Taschenbücher, immer mit der naiven Zeichnung von Tomi Ungerer auf dem Umschlag und dem fetten, sehr weißen Papier, machten viel mehr her als die alten enggesetzten, holzreichen Rowohlt-Thriller, bei denen man sie zuerst untergebracht hatte. Manche fand ich nicht besonders, „Venedig kann sehr kalt sein“ zum Beispiel oder den ersten Ripley-Roman „Nur die Sonne war Zeuge“, aber es gab ein paar, die waren zum Fürchten. Ein Abbild des katholischen Wahnsystems, wie es das Knabeninternat hervorbrachte.
Seltsamerweise erinnere ich mich an fast nichts mehr aus den damals ungefähr fünfzehn Büchern, keine Handlung, keine Person, nichts. Es blieb nur dieses unbestimmte Gefühl, dem man am besten den Namen eines ihrer Bücher gibt: „This Sweet Sickness“. Nach wenigen Seiten schon überließ man sich diesem betäubenden Sog, trudelte hinab in den Alptraum und hatte nicht einmal den Trost, daß es bestimmt gut ausgehen würde. Very strange, wie Paul McCartney in „Penny Lane“ singt.
Patricia Highsmith machte nie Spaß. Im „Geschichtenerzähler“ denkt sich ein Autor, dem nichts Rechtes einfällt, verzweifelt einen Mord aus für seine Geschichte, schleppt eine Teppichrolle aus dem Haus, vergräbt sie im Wald und wird zum natürlichen Verdächtigen – und niemand, niemand wird ihn retten können – es war zum Fürchten, weil völlig irrational. Es geht auch anders, aber nicht bei ihr: Tom Sharpe hat in „Puppenmord“ so ziemlich die gleiche Geschichte irrsinnig komisch erzählt. Patricia Highsmith aber treibt ein grausames Spiel mit ihrem Helden und gönnt ihm keine Aussicht auf Erlösung. Auch ohne Kafka und ohne daß sie jemand verleumdet hätte, tappen Patricia Highsmiths Figuren ins Unglück, strampeln, rudern, zappeln, aber sie kommen nicht mehr frei.
Philip Carter kommt nur scheinbar aus dem Gefängnis frei; der Titel ist überdeutlich, „Die gläserne Zelle“. Er mißtraut der Welt draußen, rettet sich in seinen paranoiden Wahn, aus dem er erst recht nicht mehr freikommen wird. Es war, mit einem Wort, die Krankheit der Jugend, was Patricia Highsmith in ihren Büchern beschrieb, genau das Richtige für einen Internatszögling.
Bei Kafka konnte man ganze DFG-Projekte über der Frage zubringen, ob Josef K. Gott suchte oder Opfer einer polizeistaatlichen Willkür wurde. Kafka aber ließ sich noch halbwegs verstehen, selbst seine dunklen Mächte kamen einem immer noch rationaler vor als die Finsternis, mit der Patricia Highsmith ihre Figuren umwölkt, in die sie die Armen immer tiefer hinabstößt. Der Wahn wird ihnen zum Lebensmittel, der Leser findet's nur konsequent. Sehr seltsam.
Obwohl Patricia Highsmith reinen Terror verbreitet, sind ihre Bücher von Aufwallungen abgesehen fast gewaltlos und eben nicht aktionistisch. Die größten Gewalttaten verübt die Autorin an ihrem Personal, weil sie ihm keine Hoffnung läßt, es immer weiter ins Unglück treibt, ihm nie die Möglichkeit gibt, die Laufrichtung zu ändern. Vielleicht ist sie eine Sadistin gewesen.
Bis zuletzt hatte sie diese Schulmädchenfrisur aus den Fünfzigern mit dem Seitenscheitel, ließ sich mit Katzen photographieren und ging leicht vornübergebeugt. Mit diesem Gramgesicht sah sie zunehmend böse aus, vielleicht hat sie viel getrunken, oder es war reine Notwehr, um sicherzugehen. Vielleicht fürchtete sie ein ähnliches Schicksal, wie sie es ihren Figuren ständig zumutete. Sehr seltsam. Patricia Highsmith, geboren in Fort Worth in Texas, starb am Samstag im Alter von 74 Jahren im Tessin.
Die Romane und Kurzgeschichten von Patricia Highsmith sind in deutscher Übersetzung im Diogenes Verlag, Zürich, erschienen.
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