■ Das Portrait: Lionel Jospin
„Die Linke kann Herrn Balladur schlagen“, hat Lionel Jospin vor einigen Tagen gesagt – wider alle Meinungsumfragen und wider die Wahlergebnisse der letzten Jahre, die stets konservative PolitikerInnen nach oben brachten. Seit gestern ist Jospin Kandidat der SozialistInnen für den Elysée-Palast und hat nun elf Wochen Zeit, seine Prognose zu belegen.
Der 57jährige ist eigentlich ein Ersatzmann. Noch im November unterstützte er eine Kandidatur des damaligen Präsidenten der Europäischen Kommission, Jacques Delors. Erst nach dessen „nein“ und nachdem die chaotische KandidatInnensuche der PS begonnen hatte, kam er aus der Reserve. Seine Kandidatur gegen Parteichef Henri Emmanuelli zwang die PS dazu, die erste Urabstimmung ihrer Geschichte abzuhalten. Am Freitag erhielt Jospin knapp 66 Prozent der Stimmen.
Für Jospin ist die Wahl ein Comeback. Die erste sozialistische Spitzenkarriere des Absolventen der Eliteschule ENA und einstigen Wirtschaftsprofessors hatte vor 14 Jahren im Windschatten von François Mitterrand begonnen. Nach dessen Wahl zum Präsidenten, war Jospin sein Nachfolger als Parteichef geworden und behielt den Posten sieben Jahre lang. Anschließend trat er der Regierung als Bildungsminister bei. Sein innerparteilicher Konkurrenzkampf mit einem anderen Mitterrand-Günstling, Laurent Fabius, der Verlust seines Abgeordnetenmandats bei den letzten Parlamentswahlen und seine Kritik an der Amtsführung Mitterrands führten schließlich dazu, daß Jospin dem Parteiapparat den Rücken kehrte.
Präsidentschaftskandidat der französischen Sozialisten Foto: Reuter
Vielleicht war jener Rückzug die Voraussetzung für Jospins jetzigen Karrieresprung. Denn an ihm haftet heute nicht der Verdacht der Bestechlichkeit und Machtverliebtheit. Jospin gilt als moralische Instanz. Seine protestantische Erziehung – eine Garantie republikanisch-laizistischer Gesinnung – und sein strenger Diskussionsstil machen ihn glaubwürdig.
Vor Jahren hat Jospin ein Buch mit dem Titel „Die Erfindung des Möglichen“ veröffentlicht. In seinem Wahlkampf wird er dieses Thema weiterverfolgen. Er wird wie gehabt die Hände in den Hosentaschen vergraben, die Stirn in Falten ziehen, ganz große Augen hinter der Hornbrille machen und von der „Spaltung der Rechten“ sprechen – der einzigen Chance, die Linke doch noch nach oben zu bringen. Dorothea Hahn
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