■ Sozialistische Kandidatensuche mit Hindernissen: Jospin – Kontinuität und Bruch
Monatelang bestand die Politik der immer noch größten französischen Oppositionspartei in der verzweifelten Suche nach einem Kandidaten. Um jemanden zu finden, den sie ins Rennen um das höchste Amt im Lande schicken könnten, verzichteten die Sozialisten auf Ideen, Programme und auf konkrete Politik. Unterdessen machten die Kandidaten der Rechten bereits Wahlkampf und gewannen täglich Terrain in der Öffentlichkeit.
Als die Partei noch um ihren Lieblingskandidaten warb – den Präsidenten der Europäischen Union, Jacques Delors –, hielt sie einen zweitägigen Kongreß ab, auf dem sie es schaffte, jeden Anschein einer inhaltlichen Diskussion zu vermeiden. Nachdem Delors dennoch abgewinkt hatte, warf sich die Partei lustvoll in wochenlange Machtkämpfe zwischen internen Seilschaften, die jeweils eigene Kandidaten ins Gespräch brachten. Deren gemeinsamer Nenner war, daß niemand sie für „präsidentiabel“ hielt. Angesichts der Unfähigkeit der traditionellen Strukturen, so etwas wie einen respektablen Kandidaten hervorzubringen, beschloß die Führung, von Deutschland zu lernen. Sie gab den Schwarzen Peter an die Basis weiter und organisierte – erstmals in der Parteigeschichte – eine Urabstimmung.
Nach dem monatelangen Selbstzerfleischungsprozeß ist das Votum der Basis mit 66 Prozent erstaunlich eindeutig. Die Partei kann damit ihre Lähmung beenden und den lang angekündigten „Streit der Ideen“ aufnehmen. Schlagartig hat sich die Tonart der französischen Sozialisten an diesem Wochenende geändert. Statt von „anständiger Niederlage“ ist plötzlich von „Siegen“ die Rede. Statt Frust bestimmt nun Kampfstimmung die Diskussion der Sozialisten.
Der Kandidat Lionel Jospin geht mit starker Rückendeckung in die Kampagne. Stark nicht nur deshalb, weil die Basis ihn gewollt hat, sondern auch weil er gegen das eindeutige Votum des scheidenden Präsidenten François Mitterrand, gegen den gegenwärtigen Parteichef Henri Emmanuelli, der selbst kandidiert hat, und gegen den Wunsch des einstigen Parteichefs Laurent Fabius gewählt wurde.
Jospin gehört der Sozialistischen Partei seit 1971 an, ebensolang wie Mitterrand, in dessen Windschatten er Karriere gemacht hat. Doch er hat es gewagt, schon in den achtziger Jahren Mitterrands selbstherrliche Amtsführung und dessen Unterstützung für den linken Populisten Tapie zu kritisieren. Und er verließ rechtzeitig den korrupten Parteiapparat der Sozialisten. Insofern repräsentiert der neue Kandidat zugleich Kontinuität und Bruch. Dorothea Hahn
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