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Haste mal 'nen Job?

■ 30 bis 60 Arbeitsbemühungen pro Monat sollen SozialhilfeempfängerInnen gegenüber dem Sozialamt nachweisen / Doch die wenigsten finden auf diesem Wege einen Job

Margarete Kleinert* traute ihren Augen nicht. Wenige Wochen nachdem die 32jährige Langzeitstudentin Sozialhilfe beantragt hatte, hielt sie ein Schreiben des Sozialamtes Charlottenburg in der Hand, in dem sie aufgefordert wurde, sich um Arbeit zu bemühen. „Wir erwarten von Ihnen den Nachweis von täglich fünf bis zehn Arbeitsbemühungen“, hieß es. Begründet wurde die hohe Anforderung damit, daß sich der Aufwand zeitlich an dem orientieren müsse, den Erwerbstätige für ihre Arbeit aufbringen, also üblicherweise acht Stunden am Tag.

Beigefügt ist ein Vordruck, auf dem die SozialhilfeempfängerInnen ihre Jobsuche dokumentieren sollen. Nicht nur das Datum der Bewerbung und die Firma ist einzutragen, sondern auch der Gesprächspartner, damit die Angaben überprüft werden können. Wer die Arbeitssuche verweigert, dem kann die Sozialhilfe gekürzt oder sogar ganz gestrichen werden.

Rechtlich ist das Verfahren korrekt. SozialhilfeempfängerInnen sind verpflichtet, auch Arbeiten anzunehmen, die nicht ihrer Qualifikation entsprechen. Ob die verordnete Jobsuche Sinn macht, ist eine andere Frage. „Der Prozentsatz derjenigen, die eine Arbeit finden, ist nicht sehr hoch“, räumt der Charlottenburger Sozialstadtrat Udo Maier (SPD) ein. „Die Leute finden immer mal wieder einen Job.“ Diesen „Drehtüreffekt“ kennt auch die Kreuzberger Sozialstadträtin Junge-Reyer (SPD). Meist fänden die SozialhilfeempfängerInnen kurzfristig einen Job, doch früher oder später stehen sie wieder vor dem Sozialamt. „Die meisten Sozialhilfeempfänger wollen arbeiten“, sagt sie. Nur liegen die Jobs eben nicht gerade auf der Straße.

„Die Leute gehen in ihrer Wohngegend rum und fragen in Geschäften nach, ob eine Aushilfe gebraucht wird, oder sie melden sich auf Anzeigen“, schildert die Mitarbeiterin einer Schöneberger Sozialhilfeberatung. „Viele nehmen einen unterbezahlten, befristeten Job an, nur um den Druck des Sozialamtes loszuwerden.“ In der Beratung sei die verordnete Arbeitssuche ein „Dauerthema“ mit „steigender Tendenz“. Die Bezirksämter verfahren recht unterschiedlich. Im Schnitt wird der Nachweis von 20 bis 60 Arbeitsbemühungen pro Monat verlangt.

Das Charlottenburger Sozialamt hat seine Ansprüche mittlerweile etwas heruntergeschraubt. Statt fünf bis zehn Nachweisen täglich, werden jetzt nur noch zwei verlangt. „Wir wollten nicht Unmögliches verlangen“, nennt Sozialstadtrat Maier als Grund. „Wenn wir feststellen, daß sich jemand ernsthaft bemüht, spielt es letztlich keine Rolle, wie oft er sich bemüht.“ Es komme nur „sehr selten“ vor, daß die Sozialhilfe deswegen gekürzt werde.

Obwohl das Bundessozialhilfegesetz Erwerbsunfähige oder alleinerziehende Mütter von der Regelung ausnimmt, sieht es in der Praxis oft anders aus. Es „kommt immer wieder vor“, so die Sozialhilfeberaterin, daß Mütter zur Jobsuche aufgefordert werden, obwohl die Kinder nicht untergebracht sind. In einem Fall hatte ein zu 80 Prozent Schwerbeschädigter eine Aufforderung erhalten. „Da bekommt man den Eindruck, daß einige Sozialämter solche Schreiben ohne individuelle Prüfung rausschicken.“ Auch die Nachfrage bei Firmen, ob sich ein Sozialhilfeempfänger auch tatsächlich dort beworben hat, hält die Sozialhilfeberaterin aus Datenschutzgründen für bedenklich. Eine solche Nachfrage sei nur zulässig, wenn „tatsächliche Zweifel“ bestehen, ob die Bewerbung erfolgt sei, erklärte dazu der Datenschutzbeauftragte Alexander Dix.

Die angehende Soziologin Kleinert, die als Sozialhilfeempfängerin ihre Examensarbeit zu Ende schreiben wollte, bewirbt sich jetzt auf Chefsekretärinnenposten und alles mögliche, um die gewünschte Anzahl von Arbeitsbemühungen nachweisen zu können. Aussicht auf Erfolg hat das kaum, aber immerhin ist den Paragraphen genüge getan. Dorothee Winden

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