: Wahnsinnig schlaue Rindermäster
Britische Veterinärämter kontrollieren nachlässig / Der Export von Rindfleisch bringt 400 Millionen Pfund im Jahr ein / Der BSE-Erreger hat sich inzwischen verändert ■ Aus London Ralf Sotscheck
Wer sich beim Paßfälschen erwischen läßt, wird bestraft. Bei Rinderpässen ist das anders: Da wird bestraft, wer sich weigert zu fälschen. So erging es jedenfalls der britischen Veterinärmedizinerin Marja Hovi bei der Firma Eville and Jones in Bristol. Diese Firma stellt in staatlichem Auftrag Zertifikate aus, die belegen sollen, daß das für den Export bestimmte Fleisch des Schlachthofes Alec Jarrett von BSE-freien Herden stammt. Als die Veterinärin Beweise dafür verlangte, erklärte man ihr, sie solle nicht so pingelig sein – andere Firmen würden sich auch nicht darum scheren. „Bei dieser Vertuschung konnte ich nicht mitmachen“, sagt Hovi, „denn die öffentliche Gesundheit liegt mir sehr am Herzen.“
Hovi wurde gefeuert, weil ihr „Verhältnis zu den Schlachthausbesitzern gestört“ sei. Eine Beschwerde bei Landwirtschaftsminister William Waldegrave verlief im Sande: Weder bekam Hovi ihren Job zurück, noch wurde die Firma Eville and Jones bestraft.
Es fällt deshalb schwer, den offiziellen britischen Beteuerungen über die Unbedenklichkeit ihres Rindfleisches Glauben zu schenken. Immerhin geht es um ein Exportgeschäft im Wert von 400 Millionen Pfund – umgerechnet eine Milliarde Mark. So hat die Regierung im November erreicht, daß der Veterinärausschuß der EU- Kommission sämtliche Exportauflagen für britische Rinder aufhob, die nach dem 1. Januar 1992 geboren sind. An diesem Tag trat das Verbot in Kraft, Wiederkäuer mit Tierkörpermehl zu füttern. Die Wissenschaftler sind sich einig, daß der Rinderwahnsinn durch verseuchte Schafabfälle ausgelöst worden ist.
Seitdem habe man die Seuche im Griff, tönen die Behörden. Wie viele Tiere, die nach dem Fütterungsverbot geboren wurden, aber tatsächlich gestorben sind, ist schwer festzustellen. Die britische Regierung hat in der Vergangenheit wiederholt Statistiken manipuliert. Offiziell sind nur 600 Kälber an BSE erkrankt, doch zahlreiche Wissenschaftler sprechen von mehr als 12.000 Tieren. Der indisch-britische Mikrobiologe Harash Narang wies darauf hin, daß bei vielen toten Kälbern zwar die klinischen Symptome, aber nicht die pathologischen Merkmale – die charakteristischen Löcher im Hirn – aufgetreten seien. Deshalb werden diese Kälber in der BSE-Statistik nicht berücksichtigt.
Narang geht davon aus, daß die Tiere durch die Mutterkuh vor der Geburt („vertikal“) oder durch andere Tiere auf der Weide („horizontal“) infiziert wurden. Dabei habe sich der Erreger verändert und löse andere pathologische Merkmale aus. In Schottland sei das bereits bei 82 Prozent aller toten Rinder der Fall.
Auch mit dem Fleisch älterer Tiere ist das so eine Sache. Laut EU-Verordnung muß das Fleisch entbeint und vom sichtbaren Nerven- und Lymphgewebe befreit werden, wenn es nicht von Herden stammt, die mindestens sechs Jahre BSE-frei sind. Wenn bei einem Bauern aber nach fünf Jahren ein Fall auftritt, wer könnte es ihm verdenken, wenn er das kranke Rind bei seinem Nachbarn – bei dem jede Woche ein Tier an BSE eingeht – gegen ein augenscheinlich gesundes austauscht? Der eine Hof bleibt clean, der andere kann seine Rinder trotz des BSE-Falles exportieren. Und wenn alle Stricke reißen, bleiben ja immer noch Veterinäre, die freizügig mit den Stempeln umgehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen