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Politischer Mauer-Wahlkampf

Acht Monate vor der Wahl setzt die Berliner SPD auf die Gemeinsamkeiten von Ost und West / Die CDU schürt Ängste vor dem Kommunismus  ■ Aus Berlin Dirk Wildt

Im Herbst wird in Berlin gewählt. Kein Wunder also, daß die Große Koalition von CDU und SPD, die die Hauptstadt seit 1989 regiert, beginnt, sich wieder auseinanderzudividieren. Angesichts ständiger Kompromisse konnten beide Parteien in den letzten vier Jahren kaum voneinander unterschieden werden. Doch acht Monate vor den Wahlen zum Abgeordnetenhaus wird es in der 3,4- Millionen-Metropole endlich wieder spannend. Denn beide wollen den 2,5 Millionen Wahlberechtigten wenigstens ein alternatives Angebot machen: Während die Sozialdemokraten darauf setzen, die Unterschiede zwischen Ost und West, zwischen Stadt und Land zu überwinden, versuchen die Christdemokraten alte Ängste zu schüren, selbst um den Preis, das Zusammenwachsen beider Stadthälften zu sabotieren.

Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU), wegen seiner Nähe zur SPD in seiner Partei unbeliebt, deutete in der vergangenen Woche an, wohin mit ihm die Reise gehen soll. Der von ihm angekündigte Lauschangriff auf Teile der PDS soll das politische Klima in der Stadt verschärfen. Im Westen will man eingeschlafene Ressentiments gegen Kommunisten wecken, im Osten soll dem politischen Gegner zu einer Märtyrerrolle verholfen werden. Hintergedanke der Machtclique um Diepgen und den einflußreichen Fraktionschef Klaus Landowsky: SPD und Bündnis 90/Die Grünen, bei denen es für eine Koalition reichen könnte, sollen in der Mitte zwischen Rechts und Links aufgerieben werden. Geht die Rechnung auf, bliebe der SPD wieder nur die Große Koalition mit der CDU.

Wie abgeschrieben der Osten für die Christdemokraten ist, zeigte auch ihre Klausur am vergangenen Wochenende im brandenburgischen Cottbus. Eine für dieses Jahr in Berlin vorgesehene Volksabstimmung über die für 1999 geplante Fusion mit Brandenburg und die Vereinigung selbst wollen sie verschieben. Die Angst davor, „im roten Meer“ eines derzeit mit absoluter Mehrheit regierenden SPD-Ministerpräsidenten Manfred Stolpe zu ertrinken, ist groß. Bei der Bundestagswahl im Herbst erhielt die CDU in Ostberlin nicht einmal 20 Prozent, in Brandenburg nicht einmal 30 Prozent der Stimmen.

Motor für die Vereinigung mit dem Nachbarn sind neben Gewerkschaften und Wirtschaft die Bündnisgrünen, PDS und die regierende SPD. Ingrid Stahmer, die mit einer in der Geschichte der Bundesrepublik einzigartigen Urwahl von der Parteibasis am Sonntag mit 56 Prozent der Stimmen zur Spitzenkandidatin gekürt wurde, setzt auf die „Gemeinsamkeiten der Menschen in Ost und West“. Sollte der Wille der SPD-Genossen, die den Gegenkandidaten Walter Momper offenbar wegen seiner polarisierenden Persönlichkeit (44 Prozent) abgelehnt haben, das Stimmungsbild der Berliner wiedergeben, so hätten SPD und Bündnisgrüne die Wahl im Herbst fast schon gewonnen. Stahmer als amtierende Sozialsenatorin befriedigt nach Meinung von Wolfgang Thierse das „abgründige Bedürfnis“ nach einer Person und Partei, die für eine soziale Einheit stünde. Da in Berlin die Arbeitslosenquote im Westteil höher als im Ostteil sei und die ökonomischen Probleme beider Stadthälften gleich groß seien, „sind die Menschen tiefer verunsichert als in jeder anderen Stadt Deutschlands“.

Eine gestern bekannt gewordene Umfrage des Forsa-Instituts deutet an, welchen Aufwind die SPD mit Stahmer noch bekommen kann. Von 1.018 Wahlberechtigten stimmten 43 Prozent für Stahmer und nur 38 Prozent für Diepgen. Wäre Momper Spitzenkandidat geworden, wäre das Ergebnis umgekehrt ausgefallen: 44 Prozent für Diepgen, 38 Prozent für den Mann mit rotem Schal und Glatze.

Die drei im Abgeordnetenhaus vertretenen Oppositionsparteien leiden wiederum wie die CDU an der „politischen Mauer“. Bei der FDP, die im Osten im Herbst auf 1,9 Prozent kam, streiten sich Linksliberale mit Neokonservativen wie Alexander von Stahl um den künftigen Kurs. Sie ist in derart schlechter Verfassung, daß kaum jemand an ihren Wiedereinzug ins Parlament glaubt. Die Bündnisgrünen bekamen bei der Bundestagswahl insgesamt zwar über zehn Prozent, davon aber mehr als zwei Drittel aus dem Westteil Berlins. Die PDS mußte sich im Westen mit 2,6 Prozent begnügen. Die alte Westberliner politische Klasse nimmt die Ostpartei kaum ernst. Außerdem leidet die PDS unter den von Westberlinern dominierten Medien. Der Kampf um Westberliner Stimmen kostete die Partei gerade zwei renommierte Mitglieder. Weil Konzepte fehlen, trat während des Landesparteitags am Samstag der ehemalige Westgrüne Dirk Schneider aus dem Landesvorstand aus, am Sonntag folgte ihm Landesgeschäftsführer Friedmann Reinhold. Daß die West- PDS eine Summe vormals konkurrierender und verfeindeter Organisationen des linken Rands ist, macht auch den Bündnisgrünen zu schaffen. Sie verloren einen bedeutenden Teil ihrer Wählerschaft an die Kommunisten.

Kommentar Seite 10

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