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Fick auf dem Futon

Auf dem 24. Internationalen Filmfestival von Rotterdam waren erstmals „Pink Pictures“ aus Japan zu sehen  ■ Von Roland Rust

Während die morgen beginnenden Berliner Filmfestspiele Wochen im voraus die Werbetrommel rühren, ging im benachbarten Holland gerade ein Festival über die Bühne, das der aufgeblähten Berlinale künftig noch kräftig zu schaffen machen wird. Nicht genug daß das Filmfestival Rotterdam mit einem Pensum von 300 Filmen an zehn Tagen und zuletzt einer Viertelmillion Zuschauern zu einem der größten Kulturspektakel des Benelux geworden ist. Die hochdotierten, in diesem Jahr erstmals gestifteten „Tiger Awards“ werden besonders dem Berliner Forum des Jungen Films, mit dem man Anfang der Siebziger beinahe zeitgleich antrat, ein Dorn im Auge sein und fortan noch mehr talentierte Regisseure nach Rotterdam locken.

Das beste Beispiel für Entdeckungslust weit abseits der Festivalroutine boten diesmal „Pink Pictures“ aus Japan: für den Binnenmarkt produzierte (Soft-)Pornos, die damit erstmals ins Ausland gelangten. Deren inzwischen 30jährige Geschichte beginnt bezeichnenderweise mit dem Niedergang der japanischen Filmindustrie und erreichte Mitte der achtziger Jahre mit fast der Hälfte der gesamten Jahresproduktion ihren Höhepunkt. Hierzulande längst von den dumpfen „hump videos“ abgelöst, bieten die professionell auf 35mm produzierten „Pinkku“-Filme jungen Filmemachern neben kreativem Freiraum zugleich den Einstieg in den Markt.

Wie weitherzig sich die Auftraggeber der in der Regel 60minütigen Low-budget-Produktionen dabei zuweilen zeigen, beweist „No Man's Land“ von Zeze Takahisa, bei dem sich das Publikum beinahe eine halbe Stunde bis zur ersten Sexszene gedulden muß. Anfang 1991 vor dem Hintergrund des Golfkrieges gedreht, wird dem pausenlosen Bombardement durch CNN-Bilder eine High- Tech-Welt totaler Ereignislosigkeit und Entfremdung gegenübergestellt. Von den Idealen einer sexuellen Revolution jedenfalls ist den desillusionierten Nachkommen der 68er-Generation nichts geblieben. Im Gegenteil, das Gesellschaftsspiel von Sex und Gewalt, ein stets wiederkehrendes Sujet, verschafft dem Gefühl von Vereinzelung und Langeweile allenfalls vorübergehend Luft. In den Credits – der Filmemacher erscheint als „Jean-Luc Zezemusch“ – kommt die Vorliebe für Vorbilder wie Godard und Jarmusch, die unter Japans junger Generation geradezu göttliche Verehrung genießen, selbstironisch zum Ausdruck.

Von Pasolini und Bertolucci ließ sich ein Pink-Spezialist wie Sato Hisayasu inspirieren, dessen Filmographie bereits an die 50 Filme verzeichnet. „Muscle (Lunatic Theatre)“ (1988) entführt den eher biederen Herausgeber eines Bodybuilding-Magazins gleichen Titels in bizarre Sadomaso-Phantasien. In höchster Ekstase hackt er seinem Lover mit dem Schwert den Arm ab, der fortan in Formaldehyd die leidenschaftliche Liebesbeziehung überdauert.

Die ungebrochene Nachfrage ließ Sato Toshiki nicht einmal sechs Wochen Zeit von der Idee bis zur Premiere seines Films „Tandem“ (1994). Die Kürze der Frist reichte schließlich zu einem absurd-komischen Sketch um mehrfachen Partnerwechsel – einer Persiflage auf das außerordentlich beliebte Sub-Genre der sogenannten Sex-In-The-Train-Movies. Zeze Takahisa, Sato Hisayasu und Sato Toshiki zählen (mit Sano Kazuhiro) zu den legendären „Four Devils“, heute Mittdreißigern, die die Neue Welle unter den Pink-Filmern mitbegründeten.

Ein Newcomer in der Szene ist dagegen Oki Hiroyuki, der vom experimentellen Super-8-Film kommt und mit „I Like You, I Like You Very Much“ auf Anhieb den Sprung aus dem Porno-Ghetto ins schicke Establishment schaffte. Der Auftrag dazu kam direkt vom Besitzer eines der wenigen Gay- Kinos, die freilich mehr dem Cruising denn dem reinen Kunstgenuß dienen. Oki beobachtet die alltäglichen Liebeshändel im Freundeskreis, von der Anmache auf dem Bahnhof bis zum ersten Streß im Bett. Die tagebuchartigen, vor der Handkamera skizzenhaft improvisierten Szenen mit dokumentarischem Touch sind avantgardistischer Ausnahmefall innerhalb des Gay-Genres der „Rose Films“.

An deren Anfang stand Nakamura Genjis „Beautiful Mystery – Legend of the Big Horn“, ein Klassiker aus dem Jahre 1983. Dessen Liebesgeschichte zweier Zöglinge, die am Ende erschöpft von der vermeintlich letzten Liebesnacht den morgendlichen Harakiri-Ruf ihres Meisters verschlafen, parodiert den rituellen Suizid Yukio Mishimas. Das filmische Interesse gilt in der Regel freilich weniger dem obligaten Fick auf dem Futon, zumal die offene Zurschaustellung des Geschlechts samt Schamhaar (!) von einem Komitee für kinematographische Ethik akribisch überwacht wird und nach wie vor unter Strafe steht. Das führt nicht selten zu den abwegigsten Situationen, wenn beispielsweise im Slip herumgemacht wird, wo längst alle Hüllen gefallen sein dürften, oder Wattewölkchen die erotische Aktion verschleiern.

Im Underground, wo alljährlich mehr als 5.000 Videotitel auf den Schwarzmarkt geworfen werden, schert sich allerdings keiner mehr um das angestaubte Tabu. So konnte das erst kürzlich auf die Leinwand gelangte Schamhaar (in „A New Love in Tokyo“ von Takahashi Banmei) beim Publikum keinerlei Sensationslust wecken – jedenfalls nicht bei den zumeist betagten „adults only“-KonsumentInnen.

Die Filme „No Man's Land“, „An Aria on Gaze“, „Tandem“, „I Like You, I Like You Very Much“ sowie „Lunatic Theatre“ laufen am 14. Februar im Kino Eiszeit in Berlin-Kreuzberg.

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