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Kultursenator durch Fenstersturz gefährdet

■ betr.: „Kultur dient nur noch als Sparschwein“ (Interview mit Hil mar Hoffmann), taz vom 31. 1. 95

Sehr geehrter Herr Präsident des Goethe-Institutes,

lieber Hilmar Hoffmann,

seit meinem Amtsantritt 1991 lebe ich mit einem Nervenkitzel. Irgendwann überschreite ich den kritischen Punkt, an dem ich das Gleichgewicht verliere, wenn ich mich, wie auch Sie feststellen, weiter so für den Substanzerhalt der Berliner Kultur aus dem Fenster lehne. Eigentlich liege ich schon auf dem Fensterbrett, und das nicht erst seit der für alle Seiten schmerzlichen Schließung des Schiller Theaters. Momentan reißen mich weder der Bundeskanzler noch sein Finanzminister vom Sims zurück und versprechen mit Truman Capote: „Alles wird gut.“ Berlin ist keine exotische Insel mehr, da haben Sie völlig recht. Wie aber soll die deutsche Hauptstadt lernen, wieder eine Metropole wie Paris, London oder New York zu werden, wenn sie im eigenen Lande behandelt wird wie Doberlug-Kirchhain oder Neusalza- Spremberg?

Sie wie auch der Bundeskanzler sprechen davon, daß wir erst werden müßten, was wir trotz aller „Dukatendürre“ schon längst sind, nämlich, wie Sie es nennen, „kultureller Trendsetter“. Wo spielt denn der Schauspieler des Jahres, Henry Hübchen? Wo schwingen Dirigenten von Weltrang wie Barenboim oder Abbado den Taktstock? Wo wird in diesem Jahr die Marlene- Dietrich-Collection gezeigt? Wo versucht René Kollo die Operette zu entstauben? Wo wird das neue Werk des Verhüllungskünstlers Christo zu sehen sein?

Kommen Sie mal wieder nach Berlin, lieber Hilmar Hoffmann, und schauen Sie sich um. An manchen Ecken sind Kultureinrichtungen so häufig wie Lebensmittelläden. Kultur ist hier längst für den täglichen Bedarf so wichtig geworden wie Milch, Butter oder Käse. Wenn es eine kräftige Durchmischung von Ost und West in Berlin gibt, dann zuerst in der Kulturarbeit. Nirgendwo sonst wurden so viele Persönlichkeiten mit DDR- Biographien in Führungspositionen berufen wie in Berlin.

Ich darf Ihnen berichten, daß selbst der Kulturchef der New York Times, der mich unlängst besuchte, höchst überrascht über die kulturelle Vielfalt Berlins war. Sieht man einmal davon ab, daß die anders organisierte New Yorker öffentliche Kulturfinanzierung gerade 142 Millionen Mark per anno ausmacht, also etwas mehr als zehn Prozent der Berliner Aufwendungen, nahm er erstaunt zur Kenntnis, daß – gemessen an 1991 – heute nicht nur in allen künstlerischen Bereichen für das Publikum mehr kulturelle Angebote Tag für Tag zur Verfügung stehen, sondern auch fast alle kulturellen Einrichtungen über mehr Mittel verfügen können als je zuvor.

Nur in Berlin, lieber Hilmar Hoffmann, bieten sechs Bühnen im Umkreis weniger Kilometer alle Facetten des Genres Musiktheater an. Erstmals in der BRD wurden diese Häuser von der schwerfälligen Kameralistik auf kaufmännische Buchführung umgestellt. Wir sind stolz auf den einzigartigen „Dreiklang“ unserer Opernhäuser, die im Verbund mit anderen herausragenden zentralen und dezentralen Einrichtungen dieser Stadt der Berliner Kulturlandschaft das Gepräge geben.

Eines noch zum Schluß. Lassen Sie den Pariser Bürgermeister bei seiner Jahrespressekonferenz vor Matisse-Bildern im Museum für Moderne Kunst sitzen, ich ziehe den urwüchsigen Charme der kreativen Kulturbrauerei im Prenzlauer Berg vor. Für solche Projekte im „Kiez“ können wir viel zuwenig tun, sie benötigen solche Gesten. Die nach dem Mauerfall entstandenen Off-Stätten im Osten gehören nämlich auch zur neuen Ausstrahlungskraft Berlins als Kulturmetropole.

Mit freundlichen Grüßen, Ihr

Ulrich Roloff-Momin,

Senatsverwaltung für Kulturelle

Angelegenheiten

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