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"Rote Socken" jetzt in der FU

■ Die Staatssicherheit hatte an der Freien Universität ihre Maulwürfe / Die Debatte ist entbrannt: Müssen jetzt nicht nur die Ostler, sondern auch alle Westler von der Gauck-Behörde überprüft werden?

Für die laxen Gepflogenheiten im studentischen Milieu in Westberlin zeigte die Staatssicherheit der DDR wenig Verständnis. „Mit 55minütiger Verspätung“, berichtet der Führungsoffizier, sei der IM „Ralf Müller“ am 31. Januar 1975 zum vereinbarten Treffen erschienen. Vor allem aber mißfiel der Stasi, daß der IM „sich zwischenzeitlich noch nicht bei seinem Professor zur Prüfung angemeldet habe“. Schließlich wollte sie ihn in „geeignete Arbeitsstellen“ einschleusen. Auf eine Bewerbung beim Wissenschaftszentrum erfuhr er aber nur, „daß die ausgeschriebenen Stellen bereits besetzt sind“.

Das ist nur eines von zahlreichen Beispielen für die regen Aktivitäten, die die Stasi an der Freien Universität entfaltete. Seit Jochen Staadt, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim FU-Forschungsverbund SED-Staat, die Zwischenergebnisse seiner Arbeit im Januar erstmals öffentlich gemacht hat, ist auch in Dahlem eine Debatte über den Umgang mit der eigenen Vergangenheit entbrannt. Fünf Jahre lang hatte man dort hämisch auf die „roten Socken“ an der Humboldt-Universität herabgeschaut.

Das wohlfeile Argument, man habe ja niemandem geschadet, trägt für Staadt auch dann nicht, wenn es aus westdeutschem Munde kommt. „Es kann sein, daß man selbst glaubt, das waren marginale Informationen. Wenn man die aber zusammensetzt, kann sich ein ganz anderes Bild ergeben.“ Das gelte auch für Doppelagenten wie Dietrich Staritz, der am Otto- Suhr-Institut (OSI) lehrte, bevor er als Direktor des renommierten DDR-Forschungsbereichs nach Mannheim ging. In manchen Fällen nutzten FU-Dozenten gar das Vertrauen, das sie als West-Wissenschaftler genossen, um die Dissidentenszene in der DDR zu bespitzeln oder Fluchthelfer zu denunzieren. Neben dem OSI und dem Institut für sozialwissenschaftliche Forschung standen das Osteuropa-Institut und die Dokumentations-Leitstelle für das Schrifttum der Sowjetunion auf der Liste der „Feindobjekte“. Dort wollte das MfS die wissenschaftlichen Ergebnisse sowohl beobachten als auch selbst beeinflussen. Die rosige Sicht auf die DDR, die sich in der westdeutschen Forschung der siebziger und achtziger Jahre durchgesetzt hatte, sei aber nicht das Ergebnis einer Fremdsteuerung, betont Staadt.

Neben den MfS-Aktivitäten übte die Westabteilung des Zentralkomitees der SED über die SEW, die DKP und denen nahestehende Organisationen politischen Einfluß aus. Beide Bereiche blieben in der Regel getrennt. „Wenn sich jemand offen zur SEW oder DKP bekannt hat, war er für die Stasi nicht interessant.“

FU-Präsident Johann Wilhelm Gerlach wendet sich gegen den „Eindruck, die FU sei erheblich von Inoffiziellen Mitarbeitern der Stasi unterwandert und durchsetzt“. Es sei „so bekannt wie selbstverständlich“ und ein Ausweis ihrer „liberalen und demokratischen Tradition“, daß sie „im Fadenkreuz der Aggression und Ausspähung durch die DDR“ gestanden habe. Eine „flächendeckende Überprüfung“ von FU-Mitarbeitern per Anfrage bei der Gauck- Behörde lehnt er daher ab.

OSI-Professor Peter Steinbach sieht das anders. Er wendet sich prinzipiell gege die Ungleichbehandlung von Ost- und Westdeutschen. „Wenn wir der Meinung sind, im Osten solle generell überprüft werden, bin ich auch für eine Überprüfung im Westen.“ Dennoch sieht er praktische Grenzen einer solchen Anfrage. „Wir kommen an diesen Bereich gar nicht ran, weil das Abwehrakten sind.“ Im Vordergrund stehe für ihn jedoch die politische Debatte, die mit „ein bißchen mehr Nachdenklichkeit“ geführt werden müsse. Dazu soll eine Veranstaltung zu Beginn des Sommersemesters beitragen, die sich mit den Prämissen, Prinzipien und Interessen der historischen DDR-Forschung auseinandersetzt.

Die gegenwärtige Diskussion sei von vielerlei Konflikten überlagert, klagt Steinbach, „da kommt unheimlich viel alte Politik hoch“. Auch alte Konflikte zwischen dem OSI und dem Forschungsverbund SED-Staat spielen eine Rolle. So beschuldigt die Dekanin des Otto- Suhr-Instituts, Gesine Schwan, die Initiatoren des Verbunds an der FU, sie seien „nicht zu allen Zeiten vehemente Vertreter der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ gewesen. Der Leiter des Forschungsverbunds, Klaus Schroeder, schlägt zurück. Er sieht hinter diesen Vorwürfen „verletzte Eitelkeit“ und „die Unfähigkeit des OSI, selber Forschung auf die Beine zu stellen“.

„Daß wir diese Debatte angestoßen haben“, findet Martin Gutzeit, der als Stasi-Landesbeauftragter den Staadt-Vortrag organisiert hatte, „gar nicht schlecht“. Bei Leuten aus dem Westen, die für die Stasi gearbeitet haben, falle es ihm „noch ein bißchen schwerer“, die Motive nachzuvollziehen. So widerspricht er denn auch der instinktiven Abwehrhaltung der FU-Spitze gegenüber einer Überprüfung. Mit einer solchen Überprüfung „würde man der Debatte doch die Spitze abbrechen“. Wie auch immer, das Wichtigste ist das „offene Gespräch über das, was passiert ist“. Ralph Bollmann

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