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Politisch korrekt einkaufen Von Ute Scheub

Ach, politisch korrekte Feministin zu sein ist ein unendlich schweres Los. So schwer, daß ich mich neulich, Rotz und Wasser heulend, vor einem Supermarkt wiederfand. Um zukünftige Gewissenskonflikte zu vermeiden, überlegte ich unter all meinen Tränen, bleibt mir eigentlich nur noch übrig, eine Geschlechtsumwandlung vornehmen zu lassen. Aber als Mann zu leben, als Rüpel, Vergewaltiger und Kinderschänder, das könnte ich mit meinem Gewissen eigentlich auch nicht vereinbaren.

Dabei hatte ich wirklich nur einkaufen wollen. Ich weiß, eigentlich sollte frau das den Männer überlassen, aber es ist ja nun nicht immer einer bei der Hand. Ein Paket Nudeln hatte ich bereits in den Einkaufswagen gepackt, als mich vor dem Gemüsestand die ersten Skrupel überfielen. Darf ich Tomaten aus Marokko essen? Aus einem islamischen Land, in dem die Frauen gegen ihren Willen mit widerlich bärtigen Machos verheiratet werden? Na ja, ich könnte statt dessen ja eine Pilzsoße machen. Pilze aus Polen? Unter der Fuchtel von Lech Walesa gezüchtet, igitt! Nein, diese frauenfeindlichen Fundamentalkatholiken sollten von mir keinen Pfennig sehen. Lieber koche ich Spaghetti Carbonara.

Am Fleischstand aber erging es mir noch viel schlechter, denn plötzlich fiel mir Helke Sanders Erzählung „Lucy“ ein. Lucy, unsere irgendwo zwischen Äffin und Menschin angesiedelte Vorfahrin, hat vor anderthalb Millionen Jahren noch frei und mannlos glücklich gelebt. Daß Eva Adam mit einem Apfel verführte, ist eine bis zur Unkenntlichkeit verdrehte Version der wahren Geschichte. In Wirklichkeit ist nämlich Lucy vom Geschmack des Fleisches verführt worden, das ihr irgendwelche dahergelaufenen Kerle von der Jagd mitbrachten. Um des Fleisches willen begab sich die blöde Kuh in die Abhängigkeit, aus der sich dann im Nu die globale Männerherrschaft entwickelte. Und ich soll selbige mit Fleischfresserei stützen? Niemals!

Als frischgebackene Vegetarierin begab ich mich nunmehr zur Milch- und Käsetheke. Doch wehe! „Milch, das weiße Blut“, schoß mir ein aktueller Slogan der Militanten Feministischen Kuhbefreiungsaktion (MFKuhfrei) durch den Kopf. Ist nicht die Rindviechin das Sinnbild des am meisten unterdrückten und ausgebeuteten Muttertieres auf Erden? Mann preßt ihr die Milch bis zum letzten Tropfen aus dem Euter und führt die unglückliche Kalbesmama anschließend kaltlächelnd zur Schlachtbank.

Pfui Teufel, nicht mit mir!

Angewidert von all den frauenfeindlichen Sauereien um mich herum beschloß ich, eine Fastenkur einzulegen. Zwei, drei Obstsäfte legte ich mir noch in den Einkaufswagen – Saft müßte ja noch erlaubt sein –, um sodann so schnell wie möglich zu bezahlen und den Supermarkt zu verlassen. Doch als ich draußen auf das Schild blickte – „Kaiser's Kaffee“ –, blieb mir fast das Herz stehen. Wie konnte ich nur! Die Berliner Initiative „Stadt der Frauen“ hatte just vor wenigen Wochen zum Boykott von Kaiser's Kaffee aufgerufen, weil die Warenhauskette gemeinsame Sache mit dem obersexistischen Radio 100,6 macht. Verzweifelt gestand ich mir ein, daß ich mich vor meinen politisch korrekten Freundinnen nie mehr blicken lassen konnte. Und verhungern muß ich auch.

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