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Die additive Realität

Kirk gibt den Löffel ab, die Weltraum-Operette begibt sich in eine neue Dimension  ■ Von Karl Wegmann

amals, Sternenzeit 8679.14, terrestrisch 1991, war zwar immer noch die Hölle los im Weltraum, doch die feigen Erdlinge des Film- und Fernsehmultis Paramount zierten sich, ihre inzwischen vergreisten Kämpen noch einmal in den Himmel zu schießen, um Ordnung zu schaffen. Sie fürchteten, daß nicht mehr genug Sterntaler abfallen könnten, denn das Interesse an der Kinoversion der „Star Trek“-Serie hatte erheblich nachgelassen. Zu dieser Zeit war Action angesagt, Schwarzenegger tobte über die Leinwände der Welt, da war mit der politisch korrekten „Prime Directive“ der Weltraumwächter kein Dollar zu verdienen.

„Jede Spezies hat das Recht“, sagt diese Direktive, „ihre eigene kulturelle Evolution durchzumachen. Die Sternenflotte darf keine noch unterentwickelte Welt mit moderner Technik oder höherem Wissen in Kontakt bringen – es sei denn, um frühere Verletzungen dieses Gebots zu korrigieren.“ Captain Kirk hat dieses Gesetz zwar oft gebrochen – als er einmal von Spock auf die Nichteinmischung hingewiesen wurde, antwortete er: „Dies gilt für eine lebendige, sich weiterentwickelnde Kultur. Denken Sie, das ist eine?“ – aber meist zog er sich einfach nur zurück; Arnie hätte die Aliens allesamt niedergemäht und abkassiert. Doch die Trekkies, die weltweite, sanftmütige Fan-Gemeinde, ließen nicht locker und bombardierten das Studio mit Bettelbriefen. Schließlich klappte es: „Star Trek VI – Das unentdeckte Land“ wurde zum ultimativ letzten Flug der U.S.S. Enterprise erklärt und das Budget auf weniger als 30 Millionen Dollar festgelegt, also für alle Beteiligten Gagen- und Gehaltskürzungen. Aber das war, für die Schauspieler zumindest, schon okay, denn die meisten der alten Garde hielten sich mangels Engagements mit Gastauftritten bei Fanclub-Treffen über Wasser.

Die einzige, die sich prächtig gehalten hatte, war Nachrichtenoffizier Nyota Uhura (Nichelle Nichols), sie hatte zwar körperlich zugelegt, aber das waren lächerliche Kleinigkeiten im Vergleich zu Scotty (James Doohan). Der sah aus, als würde er unter seiner Paradeuniform ein Bierfaß verstecken. Pille und Kirk (DeForest Kelley und William Shatner) konnten ihre Ausweise wegschmeißen und sich schätzen lassen: Sie hätten sofort die Rente durch. Mr. Spock (Leonard Nimoy) trug zwar auch eine Menge Furchen im Gesicht spazieren, doch bei ihm schaut man eh nur auf die spitzen Ohren: Ein nachsichtiger Maskenbildner hatte sie faltenfrei gelassen. Mr. Chekov (Walter Koenig) durfte seinen Job, dem Drehbuchschreiber sei Dank, vom Sessel aus erledigen, und Mr. Sulu (George Takei) hatte ein eigenes Schiff und flatterte nur am Rande durchs Lichtspiel. Ansonsten ging's im fliegenden Altersheim zu wie in jeder „Star Trek“-TV-Episode: Kirk trifft Entscheidungen, Pille äußert Skepsis, Spock bringt sich mit kühler Logik ein und Scotty warnt permanent, daß die Maschinen nicht überlastet werden dürfen. Nichts Neues im All. Klappe zu, Affe tot? Denkste!

Wieder einmal hatte Paramount die Trekkies unterschätzt, die schon 1976 die Nasa mit knapp einer halben Million Briefen genervt hatten, bis die Raumfahrtbehörde nachgab und ihr erstes Space- Shuttle „Enterprise“ nannte. Außerdem war der Kult inzwischen – die Fan-Gemeinde wächst von Stunde zu Stunde – zu einem Multi-Millionen-Dollar-Geschäft geworden: In den USA bereiteten sie gerade den Start von „Voyager“ vor, der mittlerweile vierten neuen Staffel der „Star Trek“-Fernsehserie; 170 Länder der Erde jagen die Enterprise allwöchentlich über den Äther, die Wiederholungen übertreffen den Erfolg der Erstausstrahlung um Lichtjahre; jede Minute (!) werden weltweit 13 „Star Trek“-Bücher verkauft, und von den ersten Kinofilmen wurden über zehn Millionen Videokassetten abgesetzt. Doch das ist alles Vogelfutter im Vergleich zum Merchandising-Wahnsinn: Raumschiffmodelle, Uniformen, Phaserwaffen, Sammelkarten, Dauerlutscher, Kaffeetassen, Spocks Ohren im Doppelpack, Brettspiele, Telefonkarten und Comics sind nur ein Bruchteil dessen, was mittlerweile zu einem eigenständigen Industriezweig avanciert ist. Logisch, daß Kirk, alias William Shatner (er wird am 22. März 64 Jahre alt) wieder ran mußte, um die erdumspannende Geldquelle noch einmal kräftig abzuschöpfen. Außerdem haben sie im neuen Film, indem sie zwei Captains mitspielen und den alten ins Gras beißen lassen, ein Verbindungsstück geschaffen, um den Mythos auch auf der Kinoleinwand nahtlos weiterzuspinnen.

Ab geht's wieder in die unendlichen Weiten, in die jeder Fernsehzuschauer schon in den 60er Jahren einmal vorgestoßen war. Vor dem mit Sternen gesprenkelten schwarzen Nichts läuft der Vorspann. Doch da, im oberen linken Quadranten, bewegt sich etwas. Ist es ein Vogel? Ist es ein Flugzeug oder die U.S.S. Enterprise? Dreimal nein, es ist ein Flasche Dom Perignon (Jahrgang 2265) die da wunderschön abgefilmt zwischen den ganzen unentdeckten Welten durchs Universum torkelt und schließlich, nachdem wir erfahren haben, wer alles mitgestrickt hat an „Star Trek VII – Treffen der Generationen“, an einem neuen Modell der Enterprise zerschellt.

Nach der gelungenen Raumschifftaufe stecken wir gleich mittendrin im 23. Jahrhundert. Zum Jungfernflug wurden auch ein paar Mitglieder der Ur-Enterprise eingeladen: James Tiberius Kirk (Ex- Captain), Montgomery Scott, genannt „Scotty“ (Ex-Technischer Offizier) und Pavel Chekov (Ex- Navigator) sehen mit kaltem Entsetzen zu, wie ihre Enkel mit der Enterprise-B herumhampeln. Prompt wird's dann auch technisch ergo kompliziert ergo gefährlich. Der stolze Raumflottendampfer erhält einen Hilferuf zweier Schiffe, die in einem Energiefeld feststecken, Kommandant Harriman (Alan Ruck), eine Niete erster Güte, tuckert los und rettet 47 Menschen, gerät aber samt Enterprise in das schwerelose Feld, welches droht, sie in einen interstellaren Energiestreifen (oder so) zu ziehen. Kirks Stunde ist gekommen: Der agile Alte ordnet gleich eine Gegen-Materie-Explosion an der Spitze des Schiffs an. Das funktioniert – doch die Explosion zerstört einen Teil des Vorschiffs und James T. Kirk wird durch das Loch in der Außenhaut in jene altbekannten unendlichen Weiten gesogen...

Und zack, befinden wir uns im 24. Jahrhundert. Captain Jean-Luc Picard befehligt die neue Generation von Menschen und Maschinen im Weltraum. Die sind immer noch damit beschäftigt, Klingonen abzuballern, Welten zu entdecken, Lebewesen zu retten und sich hin und her zu beamen. Picard weiß nicht, daß Kirk damals mit dem Leben davongekommen ist, weil ihn das Energiefeld absorbiert hat. Im Inneren dieser Kraft offenbarte sich nämlich (wir ahnten es längst) eine additive Realität – ein Ort der Freude, an dem die Zeit stillsteht. Dann kommt es aber doch noch, per Zeitsprung natürlich, zum Rendezvous der Generationen und zu einem, etwas lahm inszenierten, Showdown, in dessen Verlauf Kirk das Alien Dr. Torion Soran (herrlich böse: Malcolm McDowell) über den Jordan schickt, nur um gleich anschließend ebenfalls überzusetzen.

Der Tod des Captains hat Paramount schon eine Menge Ärger eingebracht. Bei einer ersten Testvorführung im September letzten Jahres zeigte sich das Publikum bitter enttäuscht davon, daß Kirk nur am Anfang und am Schluß auftritt. Die Zuschauer waren davon ausgegangen, daß er den gesamten Film über gemeinsam mit dem Team der nächsten Generation zusammenarbeiten würde. Es kam zu lautstarken Protesten. Dem Produzenten Rick Berman sackte der Arsch auf Grundeis. Insider berichteten, Berman sei nach dem Test kreidebleich gewesen und habe umgehend Nachdrehs mit den drei Hauptdarstellern (Shatner, Stewart und McDowell) angeordnet. Die Drehbuchautoren mußten noch mal ran, um Kirks Sterbeszene umzuschreiben. Berman wiegelte zwar ab und gab bekannt, der Tod Kirks sei unausweichlich, man wolle ihn nur Science-fiction-gerecht geheimnisvoller gestalten, doch das Endergebnis läßt durchaus die Vermutung zu, daß Kirk auch noch in einem achten „Star Trek“-Film mitspielen könnte. Doch da wird's wahrscheinlich Stunk mit Captain Picard alias Patrick Stewart geben. Der fast kahle Brite, einst Mitglied des Ensembles der Royal Shakespeare Company, verachtet den als arrogant, egoistisch und eingebildet bekannten und gefürchteten Toupetträger Shatner. Auf dem Set soll sich Stewart über Shatners Sterbeszene selbst fast totgelacht haben. Was soll's, gegen die Macht des Dollars, gegen eine millionenstarke, kaufkräftige Herde von global agierenden Trekkies hat ein Schauspieler nicht den Hauch einer Chance.

„Star Trek – Treffen der Generationen“. Regie: David Carson; mit Patrick Stewart, William Shatner, Malcolm McDowell u.a.; USA 1994; 118 Min.

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