Viele kreative Lösungen

■ betr.: „Gesamtschulen sind nicht zu retten“, taz vom 28./29. 1. 95

In einigen regionalen und überregionalen Zeitungen waren in den letzten Tagen heftige Attacken gegen die Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen zu lesen. Dabei fällt auf, daß die bildungspolitischen Gegner der Gesamtschule erhebliche Legitimationsschwierigkeiten bekommen haben. Sie können sich, wenn es gegen die Gesamtschule geht, nicht auf den Elternwillen berufen. Die hohe Elternnachfrage und der sich daraus ergebende Anmeldeüberhang sprechen vielmehr eine andere Sprache. Auch parteipolitische Frontlinien sind zerbrochen, wo ländliche CDU-Gemeinden die Gesamtschule einführten, um ihre Schulentwicklungsprobleme zu lösen.

In einer solchen Situation ist die Kritik einzelner Lehrer, wie sie von Herrn Sprenger, einem pensionierten Gesamtschullehrer und Mitglied des Philologenverbandes, geführt wurde, offensichtlich sehr willkommen. Willkommen, um insbesondere vor den Anmeldeterminen Eltern zu verunsichern! Was bereits 1994 (ohne Erfolg!) versucht wurde, wiederholt sich nun 1995. Es fällt auf, daß es nicht die Eltern und nicht die SchülerInnen sind, die medien- und öffentlichkeitswirksam Kritik an der Gesamtschule äußern. Vielmehr gilt weiterhin, daß die Schulzufriedenheit an den Gesamtschulen nach wie vor sehr hoch ist, möglicherweise höher als an anderen Schulformen.

Daß die Kritik von Lehrerseite geäußert wird, kommt nicht von ungefähr. Sie ist ein Ausweis für die besonderen Belastungen des Arbeitsplatzes Schule. Sie resultiert aus den gesellschaftlichen Veränderungen, die Schul- und Jugendforscher seit Jahren eindrucksvoll dargestellt haben. Und das betrifft alle Schulformen, nicht nur die Gesamtschule.

Neu ist jedoch offenbar dies: Wenn Lehrer an Gymnasien, Realschulen, Hauptschulen klagen, wird es als Kritik einzelner Lehrer aufgenommen und in der Medienöffentlichkeit eher milde belächelt oder auch hämisch kommentiert. Wenn Herr Sprenger und einige Gesamtschullehrer dies tun, wird es von interessierter Seite als Beweis für das Scheitern der Schulform Gesamtschule genommen.

Wohl bringt die Tatsache, daß Gesamtschulen überwiegend Ganztagsschulen sind, für Gesamtschulgegner sicherlich zusätzliche Belastungen mit sich. An den Gesamtschulen werden diese, wie auch die gesellschaftlichen Bedingungen und die daraus resultierenden Aufgaben für die Schule, seit jeher offen diskutiert. Gerade an den Gesamtschulen hat sich als Folge des langjährigen Schulversuches eine Gesprächs- und Kooperationskultur herausgebildet beziehungsweise ist dabei, sich zu entwickeln, wie sie für das traditionelle Schulsystem nicht selbstverständlich ist. Gerade an den Gesamtschulen gibt es für die erzieherischen und fachlichen Probleme viele kreative Lösungen, die in entsprechenden Schulprogrammen ihren Niederschlag finden beziehungsweise bereits gefunden haben.

Die Medien, die die Kritik Herrn Sprengers und einer kleinen Zahl anonymer Lehrer so groß herausgebracht haben, sind aufgefordert, sich vor Ort an den Gesamtschulen wirklich sachkundig zu machen. Ein Appell an die journalistische Sorgfaltspflicht und Verantwortung scheint – zumindest in einigen Fällen – angebracht. Schulleitungsvereinigung der

Gesamtschulen Nordrhein-

Westfalen, Mülheim/Ruhr