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Narasimha Raos Ochsentour

Heute beginnt in Indien eine Reihe von Landtagswahlen, die die regierende Kongreßpartei vermutlich alle verliert / Erste Panikanfälle  ■ Aus Delhi Bernard Imhasly

Dreieinhalb Jahre lang brauchte sich Indiens regierende Kongreßpartei wenig um die Gunst des Wählers zu kümmern. Im Schatten relativer innenpolitischer Stabilität konnte Premierminister Narasimha Rao seine Wirtschaftsreformen durchführen, und obwohl das tief in das Selbstverständnis der Partei- und Staatsideologie schnitt, begehrte das Parteivolk nicht auf. Selbst Korruptionsaffären im Dunstkreis der Macht erreichten, trotz lauten Protestrufen der Opposition, nie jene kritische Temperatur, welche den immer selbstsicheren Rao aus seinem charakteristischen Schweigen gelockt hätte.

Mit einem Schlag ist diese Selbstsicherheit verschwunden, und Raos Schweigen drückt statt Überlegenheit Ratlosigkeit aus. Die Kongreßpartei, drei Jahre lang zum Jasager degradiert, wird von Panik ergriffen. Das äußert sich in immer lauterem Protest, der nun selbst den bedächtigen Partei- und Regierungschef zum Handeln zwang: Nach zwei Monaten Zaudern ließ er am Dienstag seinen Rivalen Arjun Singh aus der Partei ausschließen, nachdem dieser Rao landauf, landab der Führungsschwäche bezichtigt hatte.

Der Grund für den plötzlichen Klimasturz liegt in den Wahlen in Andhra Pradesh und Karnataka Ende letzten Jahres, welche die lokalen Kongreßregierungen aus dem Amt fegten. Vor allem das Ausmaß der Niederlagen schien zu zeigen, daß sich Rao in brahmanischer Abgehobenheit kaum um die armen Massen gekümmert hatte, während er in Delhi den aus aller Welt einfliegenden Investoren eifrig die Hände schüttelte. Mit dem Verlust der beiden südlichen Schlüsselstaaten hält die Partei von den wichtigen Bundesländern nur noch Kerala, Maharashtra, Gujarat und Madhya Pradesh. In Kerala konnte letzte Woche ein Sturz der Regierung wegen Faktionskämpfen zwischen Anhängern und Gegnern Raos nur mit Mühe abgewendet werden; in Madhya Pradesh regiert ein Vertrauensmann von Arjun Singh; und in den beiden anderen Staaten stehen Wahlen bevor.

Die Urnengänge in Maharashtra und Gujarat, zusammen mit jenen in den östlichen Ländern Orissa und Bihar, sind daher für das politische Überleben von Rao entscheidend. Dies gilt besonders für die beiden Erstgenannten: im Armenhaus Bihar ist ein Kongreßsieg ohnehin unwahrscheinlich, und in Orissa wäre er eher ein Votum gegen die ineffiziente örtliche Janata-Dal-Regierung als eines für Rao. Maharashtra und Gujarat dagegen sind traditionelle Kongreß- Hochburgen. Beide Staaten haben, mit Bombay und Ahmedabad als Magneten, mehr als alle anderen von den Wirtschaftsreformen profitiert. Eine Wahlniederlage würde signalisieren, daß die Öffnung des Landes, obwohl sie ohne Zweifel einem weitverbreiteten Bedürfnis entspricht, vom Wahlvolk nicht honoriert wird.

Die Resultate beider Urnengänge werden erst im März bekanntgegeben, damit sie nicht die Wahlen in Bihar und Orissa beeinflussen. Aber Meinungsumfragen deuten darauf hin, daß der Kongreß Mühe haben wird, sich zu behaupten. Sharad Pawar, der Chefminister in Bombay, ist zwar ein überaus agiler Politiker, der Schlüsselgruppen gezielt fördert. Andere wichtige Wählergruppen wie die Muslime werfen ihm aber vor, daß er sie in den antimuslimischen Ausschreitungen 1993 im Stich ließ. Pawar hofft, daß die Angst vor einer Machtübernahme der hindu-fundamentalistische BJP und der noch rabiateren „Shiv Sena“ die Muslime dennoch zur Stimmabgabe für ihn bewegt.

Um die Muslime zu beruhigen, hat die BJP nicht die Religion, sondern die Korruption zu ihrem Wahlthema gemacht. Denn wie in Delhi hat die Wirtschaftsreform auch in Bombay diesen üblen Beigeschmack, und der Kongreß gilt weithin als Empfänger von Geldern der Bau-Mafia. Allerdings hat er nun Schwierigkeiten, diese für den Wahlkampf einzusetzen, denn der oberste Wahlkommissar T.N. Seshan droht jedem Kandidaten mit dem Ausschluß, wenn er nicht alle seine Ausgaben belegen kann.

Auch im Nachbarland Gujarat drohen die traditionellen Stimmenreservoirs der Kongreßpartei zu zerfallen. Früher hatte sie leichtes Spiel gehabt, weil sie wichtige Gruppen – Bauern, Kastenlose, Ureinwohner und Muslime – zu soliden Mehrheiten verschmelzen konnte. Rivalenkämpfe unter den Führern dieser Kasten, aber vor allem die soziale Dynamik, die in diesem Industriestaat besonders groß ist, haben diese Koalition auseinanderfallen lassen. Auch hier kämpft die oppositionelle BJP um den Sieg, auch hier dient „Korruption“ als griffiger Slogan.

Doch trotz Querverbindungen zur Wirtschaftsreform wird diese zweifellos bedeutendste Leistung des Premierministers nirgends mehr ernsthaft zur Diskussion gestellt. Selbst ein nicht unwahrscheinlicher baldiger Regierungswechsel in Delhi dürfte die wirtschaftliche Liberalisierung nicht mehr umkehren.

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