piwik no script img

Wer weiß, was böse ist

Uraufführung: Gewalt ist das Thema der Choreographin Leanore Ickstadt in ihrem Stück „Mayhem“ im Theater am Halleschen Ufer  ■ Von Michaela Schlagenwerth

Gewalt ist ein Thema im Theater, heute vielleicht mehr denn je. Schließlich versteht sich die darstellende Kunst – wenn auch anders als noch vor zwanzig Jahren – als ein Spiegel der jeweiligen Gesellschaft. Mit ihrem neuesten Stück, dem ersten seit zwei Jahren, hat sich auch die Choreographin Leanore Ickstadt dem Thema Gewalt zugewandt.

Mit „Mayhem“, am Mittwoch im Theater am Halleschen Ufer uraufgeführt, hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, die Entstehungsprozesse von Gewalttaten tänzerisch zu erforschen. Sechs Tänzerinnen von der Karen Bamonte Dance Works aus Philadelphia (mit der Kompanie wurde das Stück koproduziert) und drei deutsche Schauspieler versuchen der individuellen Fähigkeit zur Gewalt, dem inneren Zustand, der den Ausbruch von Gewalt zuläßt, auf der Bühne Gestalt zu geben. Texte aus der Gerichts- und Polizeipraxis sowie literarische Texte sollen dem Tanz auf die Sprünge helfen.

Das mißlingt allerdings, und zwar gründlich. Daß Gewalt zur menschlichen Grundausstattung gehört, ist spätestens seit Freud wissenschaftlich belegt. Daß Leanore Ickstadt sich für Gewalt nur als soziales Problem interessiert, ist nichtsdestotrotz legitim. Doch wer so genau weiß, was gut und böse ist, kann nur Klischees produzieren und sollte lieber die Finger von dem Thema lassen.

Dabei beginnt es durchaus vielversprechend: Ein dichtgedrängtes Menschenrudel wird von gleißendem Licht angestrahlt, vollführt einen knallharten Discotanz, der schließlich in Slow Motion in eine Schlägerei transformiert wird. Man prügelt aufeinander ein, und das hat durch die Verlangsamung eine überaus zärtliche Komponente: Ein Schlag, so wird hier sichtbar, ist ein „Zu-dem-anderen- Hinwollen“, im Haß ist ein Moment von (negativer) Liebe enthalten.

Doch schon formiert man sich zu einer neuen Szene, der einzige interessante Moment des Abends ist vorüber und kehrt nicht wieder. Jetzt nimmt man das Thema beim Wort, und das sieht so aus: Ein Mann und eine Frau tanzen, ein zweites männliches Wesen kommt hinzu, und schon ist der Zoff da: Beide wollen die gleiche, und da schlägt man eben aufeinander ein.

Oder: Eine Frau will mit einer anderen Kontakt aufnehmen, aber die weist sie zurück, und als sie es sich dann doch noch anders überlegt, wird die zuvor Zurückgestoßene richtig sauer: Du hast mich verletzt, und jetzt geb' ich es dir.

Zwischendurch sprechen die Tänzer Texte aus Polizei- und Gerichtsprotokollen: von Schlägereien bei Schulfesten oder in Discos, wo man statt einer Faust auf einmal ein Messer zwischen den Rippen hat. Das ist schlimm, und das finden die Akteure auch und demonstrieren es unentwegt. Den pädagogischen Zeigefinger wolle man nicht erheben, hat man im Programmheft angekündigt. Doch tut man nichts anderes. Die Annäherung an die Ursachen von Gewalt ist ungefähr so tiefgründig wie eine Vorabendserie.

Sicher ist es schwer, eine Ästhetik zu finden, mit der man bei einem von Abendnachrichten und Reality-TV abgestumpften Publikum noch so etwas wie Betroffenheit hervorrufen kann. Ob dadurch eine Attacke auf die Nerven der Zuschauer, wie sie zum Beispiel Kresnik, Reza Abdoh oder Wim Vandekeybus vollführen (um einmal sehr unterschiedliche Künstler in einen Topf zu werfen), gelingen kann, ist fraglich.

Leanore Ickstadt hat auf solche Schocks verzichtet. Bei ihr sieht man das genaue Gegenteil: Sie möchte mit Gewalt nichts zu tun haben, die sollte es am besten überhaupt nicht und in keiner Form geben. Weiter scheint die Choreographin in ihrer Auseinandersetzung mit dem Thema Gewalt nicht gekommen zu sein. Aber wenn man das Thema ablehnt, das man meint, zu einem Bühnenstück verarbeiten zu müssen, ist das wohl die denkbar schlechteste Voraussetzung. Daß in diesem Rahmen dokumentarische Texte verwendet werden, die einem die Betroffenheit regelrecht aufzwingen wollen, kann selbst Hartgesottene wütend machen.

Bis 13.2., 20 Uhr, Theater am Halleschen Ufer (32), Kreuzberg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen