: Über die „blaue Route“ nach Sarajevo
Nach der Öffnung der Zufahrtstraße können bosnische Konvois wieder durchkommen / Zuvor mußten sich die Menschen durch einen niedrigen Fußgängertunnel quälen ■ Aus Sarajevo Erich Rathfelder
„Die Nachricht hat mich richtig elektrisiert“, sagt Faruk. Der Mitarbeiter von Radio Mostar ist immer noch aus dem Häuschen. „Seit Montag ist die Route über den Berg Igman nach Sarajevo wieder offen.“ Die Waffenstillstandskommission habe unter Vermittlung der UNO beschlossen, die sogenannte „blaue Route“ über den Flughafen von Sarajevo, wie schon im Frühsommer letzten Jahres, zu öffnen. „Nun können auch unsere bosnischen Konvois wieder in die Stadt.“ Und dies bedeute eben, daß „wir das Obst und das Gemüse, die Zigaretten und den Alkohol sowie die Ersatzteile und die anderen Waren für Sarajevo nicht mehr durch den Tunnel unter dem Flughafen transportieren müssen. Aber das werden Sie ja sehen.“
Auf der Straße von Mostar in Richtung Sarajevo sind schon die ersten Lastwagen unterwegs. Der Krieg hat der ehemaligen Nationalstraße nur wenig Schäden zugefügt, nur die Brücken über die Neretva waren 1993 von den bosnischen Kroaten gesprengt worden. Doch seit die UNO im Frühjahr 1994 Pontonbrücken installierte, ist der Verkehr hier kaum mehr beeinträchtigt. Über Jablanica und Konjic und Tacin dauert es kaum zwei Stunden, bis Pazaric erreicht ist, das Städtchen, wo die Piste über den Berg Igman nach Sarajevo beginnt. Drei Kilometer weiter verläuft die Frontlinie der serbisch-bosnischen Armee. „Sie haben schon im April 1992 den Verkehr auf der Nationalstraße nach Sarajevo unterbrochen. Seither mußten wir über den Paß“, sagt einer der Fahrer, der wie alle anderen am Kontrollpunkt warten muß, dort, wo die Piste beginnt. Denn erst sollen die Lastwagen und Autos aus Sarajevo nach Pazaric über den Paß geleitet werden.
Daß diese einspurige Piste niemals eine normale Straße war, wird sogleich deutlich, als endlich grünes Licht gegeben wird. Die Route ist nur bis zum muslimischen Dörfchen am Hang des Berges geteert, dann aber hat selbst der Geländewagen Schwierigkeiten, hier durchzukommen. Die Lastwagen haben tiefe Furchen in den Schlamm gegraben, der sich nach dem beginnenden Tauwetter gebildet hat. Kemal, ein Student, der nach ein paar Tagen „Ferien“ wieder zurück nach Sarajevo will, deutet auf das Städtchen linker Hand. „Das ist Hadzici, seit Beginn des Krieges in serbischer Hand, von dort aus wurde bisher auf die Straße geschossen.“ Die Wracks von Lastwagen und Bussen zeugen davon. „Doch jetzt wird der Waffenstillstand eingehalten“, beruhigt er.
Serpentine um Serpentine geht es durch Wald und meterhohen Schnee hinauf zur ersten Paßhöhe. Dort wird die Fahrt durch bosnische Soldaten gestoppt. „Ein Lastwagen ist von der Piste abgekommen und blockiert die Straße. Alle müssen hier warten.“ Langsam schließen die anderen Autos und Lastwagen auf. Nach drei Stunden wird die Straße wieder freigegeben. Zunächst führt sie durch die „demilitarisierte Zone“, die jetzt von französischen UNO-Truppen bewacht wird. Plötzlich öffnet sich der Wald, die zweite Paßhöhe ist erreicht, der vereiste Weg wird beim steilen Abstieg zur Schlittenbahn. Ab und an sind Tannenzweige auf die Piste geworfen. Wieder säumen Wracks den Wegesrand. „Vor dem Waffenstillstand sind die meisten hier nur nachts und ohne Licht gefahren.“ Angesichts des steilen Abstiegs und des tiefen Abgrunds ist dies kaum vorstellbar.
Im Osten ist die im Talkessel liegende Stadt Sarajevo gut zu erkennen. Auch der Flughafen ist deutlich zu sehen, der an den serbisch besetzten Stadtteil Ilidza angrenzt. Jetzt windet sich die Straße hinunter zum bosnisch kontrollierten Vorort Hrasnica.
Die Häuser sind vom fast drei Jahre währenden Krieg zerstört. Im Süden und im Norden liegen die Frontlinien nur jeweils zwei Kilometer entfernt. Doch viele der Bewohner sind geblieben. Lediglich im direkt am Flughafen gelegenen Dörfchen Butmir ist das zivile Leben erstorben. Soldaten der bosnischen Armee versuchen den Verkehr zu regeln und produzieren Chaos. Die Schlange der Fahrzeuge preßt sich durch die einspurige Dorfstraße hin zum UNO- Kontrollpunkt am Flughafen, der wie eine Sperre zwischen diesem Teil des bosnisch kontrollierten Gebietes und Sarajevo liegt. Jetzt blockiert der entgegenkommende Verkehr den Zugang zum Kontrollpunkt.
1,60 Meter hoher und 700 Meter langer Tunnel
„Hier in dieser Ruine ist das Ende des Fußgängertunnels, der unter dem Flughafen gegraben ist“, deutet der Begleiter an. Durch diesen 1,40 Meter breiten, 1,60 Meter hohen und 700 Meter langen Tunnel gingen nicht nur Menschen – vor Öffnung der „blauen Route“ wurden hierdurch auch alle Waren zur Versorgung der Stadt geschleust. Nur die humanitäre Hilfe des UNHCR wurde und wird mit Flugzeugen transportiert. Ein zweiter Tunnel ist in Arbeit. Auch Autos sollen hier später einmal durchfahren können. Doch so weit ist es noch lange nicht. Die Papiere werden durch die französischen UNO- Soldaten sorgfältig geprüft.
Die 700 Meter über den Flughafen sind schnell geschafft, doch nur ein Teil der bosnischen Fahrzeuge ist mit dabei. An einer Einfahrt auf der Südseite des Airports steht eine andere Autoschlange. Die Serben aus Pale, die nach Ilidza wollen, müssen zwei Stunden warten, bis der bosnische Verkehr durch ist. Dann wird der Flughafen ebenfalls zwei Stunden lang für den serbischen Verkehr geöffnet.
Am nächsten Tag passieren wir bei der Rückfahrt einige der Busse und Lastwagen in Hrasnica, die immer noch darauf warten, daß sie endlich nach Sarajevo gelangen können. Kaum ist der Paß bewältigt, kommt die Nachricht, daß die „blaue Route“ über den Flughafen erneut „vorübergehend“ gesperrt worden ist. Doch im UNO-Hauptquartier in Zagreb ist man guter Dinge, daß es sich nur um „eine kleine Störung“ handelt: „Die Route ist wie vereinbart offen.“
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