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Munter vor dem Wahnsinn

„Kein gutes Zeichen für Berlin“, wenn das Kama-Theater, rare Stätte eines neuen deutschen Musicals, wirklich die Lampen löschen müßte  ■ Von Miriam Hoffmeyer

Tapfer leuchten die kleinen Tischlampen im Zuschauerraum gegen die Dunkelheit an. In ein paar Wochen werden sie möglicherweise zum letztenmal ausgeknipst. „Kama-Theater funkt SOS“ steht auf den Blättern, die den Zuschauern von „Kama Special“ in die Hand gedrückt werden. Nach drei Jahren steht das „erste Berliner musicalische Privattheater“ vor dem Konkurs.

„Das ist ja schrecklich“, findet die 27jährige Jacqueline. „Das Kama ist eine Berliner Spezialität, da kann ich mit meinen Freunden hingehen und genauso mit meiner Großmutter.“ Am Publikum liegt es nicht: Bei den meisten Aufführungen der kleinen Kreuzberger Bühne waren mindestens 90 Prozent der Plätze besetzt. Aber vor kurzem wurde die Miete für das Gebäude verdreifacht, und mit den Platzzuschüssen fielen 70.000 Mark weg. Diese Zuschüsse zahlte die Kulturverwaltung bis 1994 für alle Plätze, die die Theater an Besucherorganisationen abgaben.

Das Theater wird nicht öffentlich gefördert, weder die Spielstätte noch einzelne Projekte. Die Regisseure Katja Nottke und Claudio Maniscalco, die der Gattung „neues deutsches Musical“ eine Heimat geben wollten, gründeten Kama auf Kredit – und der ist auch noch nicht abbezahlt.

Rettung erhofft man sich vom reichen großen Bruder, dem Theater des Westens. „Kama ist sehr ambitioniert, sehr ehrgeizig. Es hat eine Farbe in die Stadt gebracht, um deren Verlust es sehr schade wäre“, sagt Ren Meyer-Brede vom Theater des Westens. Statt vor dem eigenen Zuschauerraum, in dem 99 schlanke Menschen Platz finden, spielt das Kama-Ensemble am 20. Februar im Zuckerbäckerbau in der Kantstraße. Dort gibt es 1.400 Plätze. „Wenn an diesem Tag das Haus ausverkauft wäre, könnten wir die dringendsten Kosten bezahlen“, meint Kama-Sprecher Enric Nitzsche.

„Kama-Special“ ist so etwas wie ein Spectator's Digest der Inszenierungen aus den letzten zweieinhalb Jahren, von „Ladyboys“ und „Mixed Pickles“ über „No Sex“ und „Piaf – ich bereue nichts“ bis zu „Victor/Victoria“ und „Zarah Leander“. Edith Piaf trifft die lustige Witwe, mal gehen vier Golden Girls am Strand joggen, mal besingt ein schwuler Schwärmer den Sex-Appeal der „Männer aus dem Süden“.

Die ausgeklügelten Handlungen der diversen Stücke fallen bei dieser Nummernrevue natürlich weg. Deshalb steht im Vordergrund, was schon vor den Musicals da war: die Lieder von Zarah Leander und Edith Piaf. „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt!“ brummt ein ungelenkes Berliner Gör herrlich falsch. Dagegen imitiert die stämmige Kama- Piaf die Diva bis zur Perfektion: ihre rauchige Stimme, die Entschlossenheit in jeder Geste, die Erotik eines ganz sachlich gesagten Satzes wie „je t'ai dans la peau“. Nach der dialektischen Dramaturgie der Revue folgt darauf wieder eine wahnwitzig komische Nummer: der singende Vater vor der Wiege, den die pudelmuntere Brut zum Wahnsinn treibt: „Papa 'putt!“

Berlin hat wahrlich keinen Mangel an Musical-Theatern. Aber während die großen Häuser in der Regel abwechselnd bewährte Oldies und aktuellen Mainstream spielen, bringt das Kama- Theater Musicals auf die Bühne, die es sonst höchstens noch im Hamburger Schmidt-Theater zu hören gibt. „Wenn überhaupt, kommt das neue deutsche Musical daher“, sagt Stanley Walden, Leiter des Studiengangs Musical an der Hochschule der Künste. „Wenn so ein aktives, lebendiges, engagiertes Theater wie das Kama eingeht, dann ist das kein gutes Zeichen für Berlin.“

Bis 19.2. Di-Fr 20 Uhr, Sa 17 Uhr, So 21 Uhr, Kama-Theater, Schwiebusser Straße/Ecke Friesenstraße, Kreuzberg, am 20.2. im Theater des Westens, Kantstraße 12, Charlottenburg.

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