: Christen- und Fristenfragen
Bundestagsdebatte zur Reform des Abtreibungsrechts: Der Union gilt die Strafandrohung als immer noch „bewußtseinsbildend“ / Breite Mehrheit für liberaleren Gesetzentwurf ■ Aus Bonn Myriam Schönecker
Eine halbe Stunde nach Beginn der Debatte kam endlich Leben in die halbwegs gefüllten Reihen des Bundestages. Maria Eichhorn, CDU/CSU-Verhandlungsführerin in Sachen Paragraph 218 und frauenpolitische Sprecherin ihrer Fraktion, wollte in ihrer Rede ganz genau sein und zwischen reiner Fristenregelung und Fristenlösung mit Beratung unterscheiden. Und dabei wäre ihr beinahe die „Christenfrage“ über die Lippen gekommen statt der Fristenfrage.
Ihrer säuerlich-pikierten Reaktion auf die anhaltende Heiterkeit im Hohen Haus ließ sich entnehmen, wie sehr sich Eichhorn und ihre KollegInnen in der Unionsfraktion beim Thema Abtreibungsrecht in der Defensive sehen. Die Union hat den im Sommer gescheiterten Koalitionsentwurf wieder eingebracht, der sich etwa durch eng definierte Beratungsregeln und rigide Strafnormen auszeichnet. „Strafe dient Bewußtseinsbildung“, so Maria Eichhorn in der gestrigen Debatte.
Dem konservativ-christlichen Entwurf gegenüber steht ein eigener Entwurf des Koalitionspartners FDP, dessen Nähe zu den Entwürfen von SPD und Grünen augenfällig ist. Vor allem die Parallelen zwischen liberalem und sozialdemokratischem Entwurf sind offenkundig: Beide verzichten auf zusätzliche Strafandrohung für das soziale Umfeld der Schwangeren. Und beide sehen die Finanzierung des Abbruchs über die Krankenkassen vor, wenn die Frauen weniger als 1.900 Mark netto (im Osten 1.700 Mark) verdient. Die Kosten sollen dann vom Bund (SPD) bzw. von den Ländern (FDP) erstattet werden. Kein Wunder, daß da von allen Seiten gestern unablässig „die breite Mehrheit in der Mitte des Parlaments“ beschworen wurde, so etwa vom FDP-Abgeordneten Heinz Lanfermann, Verhandlungsführer seiner Fraktion beim 218.
Verstärkung bekam Lanfermann von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die besonders auf die „Eigenverantwortlichkeit“ der Frau hinwies. Die FDP auf liberaler Profilsuche: Da ist das Thema Abtreibung oppurtunes Instrument, zumal vor den hessischen Landtagswahlen. Mit diesen ist wohl auch zu erklären, daß der jüngst verschobene Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz Thema der RednerInnen aller Fraktionen war. Am von Bund und Ländern versprochenen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab 1996 soll festgehalten werden, hieß es unisono.
Zweigleisig fuhren Bündnis 90/Die Grünen: Neben ihrem Gesetzentwurf, der im Unterschied zu SPD und FDP Aufklärung und Verhütung betont, brachten sie einen Entschließungsantrag ein, den 218 ganz zu streichen. Dies bleibe grundsätzliches Ziel der Partei, so die frauenpolitische Sprecherin der Grünen, Rita Grießhaber. Solange dieses aufgrund der Mehrheitsverhältnisse nicht realisierbar sei, müßte der geringe Spielraum des Verfassungsgerichts-Urteils voll ausgelotet werden. Der Doppelkurs bot natürlich Angriffsfläche. Als „fundamentalistisches Feigenblatt“ für eine sonst „erfreuliche pragmatische Veränderung“ qualifizierte die SPD-Abgeordnete Inge Wettig-Danielmeier den Antrag auf Streichung des 218.
Auch Wettig-Danielmeier, bereits in der letzten Legislaturperiode SPD-Verhandlungsführerin, betonte das Interesse ihrer Fraktion an einem Kompromiß bei der Abtreibungsreform. Allerdings sei der Ball nun im Unionsfeld: „Wenn wir zueinander kommen wollen, müssen Sie sich bewegen“, warnte sie CDU/CSU. Deren Frauenministerin Claudia Nolte meldete sich gestern natürlich zu Wort, das dritte Mal, seit sie von Kanzler Kohl zur Ministerin gekürt wurde. Strukturelle Familienfeindlichkeit und die seelischen und gesundheitlichen Folgen eines Schwangerschaftsabbruchs beschwörend, ließ ihr Vortrag mehr an eine Predigt denn an eine parlamentarische Rede erinnern. „Der Schutz menschlichen Lebens in jeder Phase seiner Entwicklung ist für mich eine Grundsatzfrage.“
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