piwik no script img

Verfassungsbruch je nach Senats-Mix

■ Staatsrechtler Preuß: „Bremer Verfassung wird zum Instrument des parteipolitischen Kampfes“

Es gehe nicht nur um die Piepmätze, sondern vor allem um den „Verfassungsbruch“ des grünen Umweltsenators Ralf Fücks, lautet die Devise der FDP beim Ampel-Ausstieg. Durch die Anmeldung eines Teils der Hemelinger Marsch auf der EU-Vogelsschutzliste am Senat vorbei habe Fücks den Artikel 120 der Bremer Landesverfassung verletzt und sei daher als Senator untragbar. Die taz befragte Ulrich K. Preuß, Bremer Verfassungsrechtler und Mitglied des Staatsgerichtshofes, nach der Bedeutung des fraglichen Artikels 120 der Bremer Landesverfassung. Für den Juristen ist ein Verfassungsbruch nach dieser Vorschrift „häufig eine Frage der politischen Konstellation“.

Welche Funktion hat der Artikel 120 der Landesverfassung?

U.K. Preuß: Er regelt die Kompetenzverteilung und die innere Ordnung des Senats. Außer der allgemeinen Verantwortlichkeit der Mitglieder des Senats gegenüber dem Parlament enthält er aber keine Regelung über die Beziehung zu anderen Staatsorganen.

Wie regelt er Konflikte im Senat?

Da Art.120 keine Richtlinienkompetenz des Bürgermeisters kennt, sondern auf dem Prinzip der Einzelverantwortlichkeit der Senatsmitglieder für ihre Ressorts und dem Kollegialprinzip, d.h. der gemeinsamen Beratung und Beschlußfassung, beruht, wird es immer wieder gewisse Koordinierungsprobleme geben. Nach Art.120 Nr.3 hängt die Befassung des Senats mit einer Angelegenheit davon ab, ob sie „für die gesamte Verwaltung von Bedeutung ist“ – und darüber kann es je nach der parteipolitischen Zusammensetzung des Senats sehr unterschiedliche Auffassungen geben. So würde, um ein abstraktes Beispiel zu nehmen, in einer christlich-liberalen Regierung die Verbreiterung einer Straße sicherlich keine Angelegenheit sein, die „für die gesamte Verwaltung von Bedeutung ist“, während das natürlich für jeden Senat so wäre, in dem Grüne sitzen.

Wann also greift diese Vorschrift?

Es ist eine Frage der jeweiligen parteipolitischen Ausrichtung des Senats, ob der Art.120 überhaupt zur Anwendung gelangt. Und wenn das so ist, dann ist das Vorliegen einer Verfassungsverletzung oder, polemisch ausgedrückt, eines Verfassungsbruchs, im Grunde eine Frage der parteipolitischen Konstellation. Wenn die Auslegung einer Verfassungsnorm von wechselnden politischen Gegebenheiten abhängig ist, so ist das unter verfassungspolitischen Gesichtspunkten mißlich, denn es entsteht dann die Versuchung, eine politische Fehleinschätzung mit dem Stigma eines Verfassungsbruchs zu versehen und damit letztlich die Verfassung zum Instrument des politischen Kampfes zu machen. Demokratische Parteien sollten dieser Versuchung widerstehen.

Muß aber eine umstrittene Frage nicht auf jeden Fall vom Senat behandelt werden?

Art.120 Nr.4 regelt, daß Angelegenheiten dem Senat zu unterbreiten sind, wenn „Meinungsverschiedenheiten über Fragen bestehen, die den Geschäftsbereich mehrerer Verwaltungsbehörden“ berühren. Natürlich, wenn es Meinungsverschiedenheiten zwischen Ressorts gibt, dann sind sie im Senat zu erörtern und durch kollegiale Beschlußfassung zu lösen. Da nun aber Art.120 auf dem Prinzip beruht, daß entsprechend dem Ressortprinzip jedes Senatsmitglied eigenverantwortlich handelt und nicht alles in den Senat trägt, liegt es in der Logik der Konstruktion, daß sich häufig erst nach einer Ressortentscheidung herausstellt, daß es da Meinungsverschiedenheiten gibt. Das muß man hinnehmen und darauf vertrauen, daß dann immer noch eine Senatsbefassung stattfindet. Man kann dem betreffenden Senatsmitglied keinen Verfassungsbruch vorwerfen. Denn sonst würde man die Ressortschefs zwingen, aus Angst vor dem Vorwurf des Verfassungsbruchs vorsorglich alle möglicherweise problematischen Sachen in den Senat zu bringen und damit im Grunde das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit jedes Senatsmitgliedes zu unterlaufen.

Ist ein Senator, dem das Parlament das Mißtrauen ausspricht, so etwas wie verfassungsrechtlich vorbestraft?

Das Mißtrauensvotum des Parlaments gegenüber einem Regierungsmitglied ist Ausdruck der politischen Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament. Sie hat nichts mit Schuld im moralischen oder rechtlichen Sinn zu tun; es lastet kein Stigma auf der abgewählten Person, denn Vertrauen und Mißtrauen ist eine Frage der parteipolitischen Konstellation im Parlament. Nach einer Neuwahl hat der Souverän diesen Streit zwischen Parlament und Regierung gewissermaßen als Schiedsrichter neu entschieden. Wer nun sagt, der damals abgewählte Senator kann nicht wieder Mitglied des Senats werden, der würde damit praktisch den Souverän bevormunden. Jedenfalls würde es der demokratischen Bedeutung von Wahlen widersprechen. Das Mißtrauensvotum ist ein verfassungsrechtliches Institut zur Lösung von politischen Konflikten, nicht ein Instrument moralischer oder rechtlicher Verurteilung. Fragen: bpo

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen