piwik no script img

Knast macht jede Aids-Vorsorge zunichte

■ FU-Studie: Spritzentausch zentrale Ansteckungsquelle für Abhängige

„Spritzentausch in Haft ist bei Drogenabhängigen mittlerweile zum wichtigsten Risikofaktor für eine HIV-Infektion geworden.“ Zu diesem Ergebnis kommt eine empirische Studie des Instituts für medizinische Statistik an der Freien Universität, für die über tausend intravenöse Drogengebraucher befragt wurden.

Seit über einem Jahr versuchen Gesundheitspolitiker und Ärzte die Senatsverwaltung für Justiz davon zu überzeugen, daß in den Berliner Haftanstalten Einwegspritzen ausgegeben werden müssen, um die Ansteckungsgefahr mit dem HI-Virus zu verringern. Die Studie liefert den Beleg für diese Argumente.

70 Prozent der untersuchten Drogenabhängigen waren mindestens einmal inhaftiert. Jeder zweite Fixer spritzte auch in Haft. Bei denjenigen, die im Knast häufig fremde Spritzen benutzten, war die HIV-Infektionsrate um das über Zehnfache höher als bei denen, die niemals inhaftiert waren.

Außerhalb des Gefängnisses haben nach gezielten Aufklärungskampagnen fast zwei Drittel ihr Verhalten geändert. Sie benutzten keine oder kaum noch Spritzen mit anderen gemeinsam. Da Spritzen im Knast Mangelware sind, greifen sie dort aber verstärkt auf den riskanten Nadeltausch zurück. „Bisherige Präventionserfolge, die mit viel Mühe und Aufwand außerhalb des Vollzugs erreicht wurden, werden zunichte gemacht“, betonen die Wissenschaftler Dr. Reinhold Müller und Dr. Klaus Stark.

Auch sie plädieren für eine kontrollierte Ausgabe von sterilen Einwegspritzen in Haftanstalten. „Wir haben wiederholt angeboten, die wissenschaftliche Begleitforschung zu übernehmen“, sagt Müller. Doch bislang hat die Senatsverwaltung für Justiz mit Hinweis auf das Sicherheitsrisiko für das Wachpersonal – die Spritze könnte als Waffe mißbraucht werden – selbst ein Pilotprojekt abgeblockt.

Die einzige Maßnahme, zu der man sich durchringen konnte – die Ausgabe einer Hausapotheke mit einem Desinfektionsmittel –, beurteilen die Wissenschaftler als „eindeutig ineffektiv“. Mit dem ausgegebenen Betaisodona müsse eine Spritze mindestens 15 Minuten lang desinfiziert werden, stellt Müller fest.

Da der Besitz einer Spritze aber verboten ist, muß die Reinigung heimlich erfolgen. Er befürchtet deshalb, daß die Drogenabhängigen aus Angst vor Entdeckung und unter Zeitdruck die Desinfektion nicht sorgfältig genug durchführen. Anders biete eine Desinfektion „keine echte Sicherheit“, sondern senke lediglich die Wahrscheinlichkeit einer Infektion.

Zu Konsequenzen aus der Studie wollte sich die Justizverwaltung nicht äußern. Dorothee Winden

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen