■ Jürgen Fuchs wechselt vom PEN West zum Exil-PEN: Beginnt etwas von vorn?
Als ich 1976/77 in der Untersuchungshaft der Staatssicherheit saß und psychisch gefoltert wurde, schrieb das schwedische PEN-Zentrum an das der DDR und verlangte Auskunft über den politischen Gefangenen. Generalsekretär Keisch antwortete sinngemäß, man kenne keinen Schriftsteller mit dem genannten Namen. Kein offizieller Protest, auch nicht bei der Ausbürgerung seines Mitgliedes Biermann, auch nicht beim Wegekeln von Reiner Kunze und während des jahrelangen Hausarrestes gegen Robert Havemann. Wie viele Menschenrechtsverletzungen gab es in der DDR, die nicht zu Reaktionen des dortigen PEN-Zentrums führten! 1988 rechtfertigte sogar der Präsident Kamnitzer das brutale Vorgehen gegen Andersdenkende bei der Luxemburg/Liebknecht- Demonstration in Ost-Berlin. Aus der Einsicht in die Stasi-Akten geht hervor, wie willfährig sich auch andere DDR-Einrichtungen unterwarfen: Die Zeitschrift Sinn und Form der Akademie der Künste gab dem MfS in der Normannenstraße bereitwillig Auskunft über den Häftling F. Keine Silbe, man möge ihn lieber freilassen. Ähnlich ndl (Neue deutsche Literatur), auch Verlage und einzelne Autoren verhielten sich so. Schriftsteller ließen sich als Inoffizielle Mitarbeiter des Geheimdienstes anwerben. Ein äußerst niederdrückendes Kapitel.
Das PEN-Zentrum der DDR hat umfassend versagt und die internationale Charta verraten. Warum wurde es nach 1989 nicht aufgelöst? Gewiß, einige Kollegen haben sich anders verhalten, sie haben Verhafteten, Ausgebürgerten und „Zersetzten“ (ein Begriff der Stasi; sie führte ihre „aktiven Maßnahmen“ gegen uns bis zum Schluß durch, auch auf dem Boden der Bundesrepublik) zu helfen versucht. Auch daran möchte ich erinnern und werde es nie vergessen. Seit diesen Jahren bin ich bemüht, Menschenrechtsverletzungen aufzudecken, literarisch zu analysieren und Betroffenen zu helfen. Besonders die „leisen“ Formen des Terrors, konspirativ durchgeführt, haben ja zugenommen – weltweit. Die Stasi ist dafür nur ein Beispiel, wenn auch ein wichtiges. Die Akten sind in letzter Minute dem Reißwolf entrissene „Daten über ihre Taten“ und auch Zeugnisse von Zivilcourage und Leiden einzelner und verfolgter Gruppen. Wer sagt, aus diesen Dokumenten kann er nichts lernen, ist ein Ignorant. Leider nur einer von so vielen heute.
In der deutsch-deutschen Diskussion um die „Vereinigung“ entdecke ich bei verantwortlichen Leuten wie Heidenreich und Schlenstedt viel defensives und eher zudeckendes Verhalten, das mich an die ungute deutsche Tradition des „Schlußstriches“ erinnert, des kleinen raschen Friedens mit den Tätern und den dienenden Intellektuellen. Noch eine Runde und noch eine, dann sind die Querulanten und „Neurotiker“ (S. Heym) ruhig. Man muß nur durchhalten, siehe Stolpe und Gysi, auch der Streit um die Berliner Akademie könnte so bewertet werden. Die Diktatur war am Ende nur ein „komplizierter historischer Vorgang“.
Wer aber im Sinne der PEN-Charta bedrängten Kollegen in Rechts- und Linksdiktaturen beistehen will, benötigt Vertrauen in Büros, Präsidenten und Generalsekretäre des jeweils eigenen Zentrums des internationalen PEN. Es ist ja auch eine Frage der Haltung, des „guten Gefühls“ und der Gewißheit, man werde nach besten Kräften geschützt und unterstützt in seinem Tun. Dieses gute Gefühl habe ich nicht mehr. Mich ereilen eher düstere Erinnerungen an gehörte und gelesene Beschwichtigungsfloskeln aus vergangenen Jahren und Jahrzehnten.
Die Diktatur der Lüge und der gleichgültigen, banalen Ingoranz ist offenbar noch nicht zu Ende, wenn diktatorische Parteien und Staaten zusammengebrochen sind. Der Exil-PEN deutschsprachiger Autoren hat mir nun einen „Übertritt“ ermöglicht. Wem die Fremde eine Rettung war, wird vielleicht verstehen, in welche Lage man zu Hause kommen kann, wenn Stasi-Unworte wie „Zersetzung feindlich-negativer Kräfte“ keinen Schrei der Empörung auslösen und ein Begriff wie „geistige Verluderung“ ungeniert in Schwange kommt. Als sei nichts gewesen. Beginnt etwas von vorn? Sind wir schon wieder die Feinde einer „fortschrittlichen Entwicklung“? Und warum machen das andere vornehm schweigend mit? Jürgen Fuchs
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