: Woher die Langeweile kommt
■ Auch Fritz Hertle (50), Fraktionsvorsitzender der Bündnisgrünen im hessischen Landtag, vermißt die Spannung im Wahlkampf und hat den Schuldigen gefunden: die Opposition
taz: Noch nie war Wahlkampf so langweilig wie heute. Wurden die falschen Themen präsentiert?
Fritz Hertle: Das Thema Umwelt interessiert die Menschen nach wie vor. Ein anderes Thema war die Schulpolitik. Wir haben im Wahlkampf klargemacht, daß Kanther mit dem erzkonservativen bayerischen Schulpolitiker Kraus in Hessen ein konservatives Roll- back in die fünfziger Jahre anstrebt. Das hat die Wählerinnen und Wähler schon elektrisiert.
Die von der GEW.
Nicht nur die. Ich habe Wahlkampfveranstaltungen zum Thema Schule erlebt, zu denen bis zu 300 Leute kamen. Sehr gut besuchte Veranstaltungen gab es vor allem in den ländlichen Regionen. Früher war Frankfurt der Nabel der politischen Debatte. Dort scheint heute ein gewisser Sättigungsgrad erreicht zu sein.
Wie erklären Sie sich, daß Kanther ausgerechnet einen CSUler als Kultusminister vorschlägt?
Er ist fest entschlossen, das alte hessische CDU-Modell aus Dregger-Zeiten neu anzubieten. Und das auf allen politischen Ebenen. Kraus und seine erzkonservative Schulpolitik fügen sich da nahtlos ein. Die CDU will die Elternrechte wieder beschneiden, behinderte Kinder wieder aus den Intergrationsklassen werfen und für die ausländischen Kinder den Unterricht kappen. Daher kommt auch die Langeweile in diesem Wahlkampf: Die Opposition hat auf keinem Politikfeld neue Ideen angeboten, sondern durchgängig die alten Kaugummirezepte aus den sechziger Jahren – Rolle rückwärts in der Schulpolitik, Kappung der Abiturientenquote, Aufwertung der Hauptschule. Wieder ran an die Atomenergie, an den Straßenbau. Frauenpolitik wird lächerlich gemacht. Und marktkonforme und ökologische Steuerungsmechanismen, wie etwa die Sondermüll- oder die Grundwasserabgabe, die sich bewährt haben, verdammt die Union als „Hessensteuern“ und will sie wieder abschaffen.
Alle bislang veröffentlichten Umfragen suggerieren einen Wahlsieg für die Koalition. Der SPD wird ein leichter Stimmenverlust prognostiziert, den Grünen Gewinne. Werden Sie dann mehr Ministerien fordern und die inhaltlichen Forderungen kompromißloser formulieren?
In der Verkehrs- und in der Wirtschaftspolitik müssen grüne Grundsätze stärker als bisher Berücksichtigung finden. Alles in allem kann sich unsere Bilanz der letzen vier Jahre aber sehen lassen, denn die Koalitionsvereinbarung wurde zu neunzig Prozent erfüllt.
Trotzdem kam es zu Irritationen und auch zu unerwarteten Niederlagen für die Bündnisgrünen in der Koalition. Ich denke da an den PVC-Konflikt, an den Transrapid und an Cargo-City am Flughafen. Da hat die SPD die Grünen über den Tisch gezogen.
Die SPD ist weggaloppiert, sie glaubte, mit der CDU und den Wirtschaftskapitänen im Nacken den Weg rückwärts beschreiten zu müssen. Das wird so nicht noch einmal passieren. Es wäre aber überzogen gewesen, die Koalition etwa wegen der Transrapid-Entscheidung platzen zu lassen.
In Bonn wurde das Ende der Sonderrolle der Grünen in der Politik eingeläutet. Stichwort: Vizepräsidentin und Geheimdienstausschuß. Wollen sich die Bündnisgrünen in Hessen an der Regierung weiter mit den klassischen grünen Ressorts wie Umwelt und Frauen/Soziales bescheiden?
Nein. Ich vertrete ohnehin die These, daß wir – im Gegensatz zur FDP – einen grundlegenden Anspruch auf Regierungsfähigkeit entwickelt haben. Wir brauchen keine Huckepackverfahren, um politisch zu überleben. Wir haben gerade in Hessen bewiesen, daß wir exzellent sind in der Opposition und gut in der Regierung. Ich sage deshalb ganz unbescheiden: Wir sind auf allen Politikfeldern regierungsfähig.
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