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Perückenflüge

■ Barry Shils' „Wigstock: The Movie“

Es war diese minutenlange Szene in „Philadelphia“, bei der einem das Herz furchtbar schwer wurde: Tom Hanks hört, an Schläuche gefesselt, eine Oper mit Jessica Norman und weint. Im gleichen Jahr auf der Bühne von Wigstock: Der Aids-kranke Transsexuelle Wendy West vor zwei Tagen aus dem Krankenhaus entlassen. Er atmet in kurzen Stößen und kann kaum sprechen. Trotzdem tobt er vor dreitausend Menschen Open-air — mit einer Kanüle im Arm, das Infusionsgerät hinter sich her schleppend.

Der Film von Barry Shils sucht gar keine Gegensätze, dennoch funktioniert am „Wigstock“ alles wie im Lande Oz. Acht Stunden herrscht hier ein freundliches Durcheinander aus Flausch, Flitter und Perücken. Es ist eine Mischung aus Hafenbar und Sesamstraße: Seit 1985 treffen sich Pop- Stars und aufgedonnerte Drag- Queens an einem Pier nahe der Christopher Street in New York. Sie feiern gemeinsam mit der Community und gedenken all derer, die nicht mehr dabeisein können. Dann steigen Papperücken an Luftballons zum Himmel auf. Ansonsten gilt: Tucken, Leder-Kerle, Schwule, Heteros und Touristen – you're welcome.

Shils filmt das ganze nicht sehr viel anders als seine bekannten Vorgänger vom Love-and-Peace- Festival 1969. Er beschränkt sich auf wenige Kamera-Einstellungen und Abläufe, Schminkzeremonien bei den Vorbereitungen zum Auftritt etwa, Kostümprobe, Perückenwahl; an RuPaul faszinieren ihn die silbernen Pantoletten, bei Lipsynka ist es das drahtige Kampfschwimmerkreuz.

Dazwischen erzählen die Protagonisten, warum sie als Männer lieber zu Frauen werden. Ein Wigstock-Show-Dancer fühlt sich dadurch der chauvinistischen Männerwelt überlegen, auch eine Art, mit dem Signifyer zu spielen. Auf der Bühne endet dann aber ein Großteil der Performances im Strip. Die Perücke fällt fast immer, oft kommt auch das Geschlecht zuletzt unter Puscheln zum Vorschein. Es ist nurmehr ein Zeichen unter vielen. Harald Fricke

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