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Alles bleibt partielle Narration

■ Asher Tlalims „Don't touch my Holocaust“ (Forum)

Dieser Film wird garantiert so manches Seminar in Deutschland beglücken, weil hier der einmalige Fall vorliegt, daß ein deutscher und ein israelischer Regisseur am exakt selben Thema gearbeitet haben. Was Andres Veiel mit „Balagan“ versucht hat – die Arbeit des Akko- Thaters an ihrem Stück „Arbeit macht frei“ in einen israelischen Kontext zu stellen – macht Tlalim auch. Nur vergißt er nicht, auch den deutschen Kontext zu erwähnen, der bei einem Stück über die sogenannte Erinnerungskultur ja nicht komplett unwichtig ist, sondern nur ein ganz kleines bißchen.

Im Gegensatz zu Veiel hat Tlalim es nicht ganz so eilig, auf die „blasphemischen“, pubertär-skandalösen Elemente des Stücks zu kommen, wenn beispielsweise die Schauspielerin Madi Maayan – in die beide Herren offenbar ein wenig vernarrt waren, was man ihnen praktisch nicht verdenken kann – das Horst Wessel-Lied neben die israelische Nationalhymne stellt und seufzend ihre Schwäche für den armen, blonden blauäugigen Horst Wessel gesteht.

Tlalim – marokkanischer Jude und Ex-Ehemann einer Tochter von Auschwitz-Überlebenden – hat sein Hauptaugenmerk auf die hinter allem stehende Tatsache gelenkt, daß es keine zentrale, quasi aus der Draufsicht erhaltene Erinnerungsperspektive gibt. Auch wenn man alle Positionen der Gruppe zum Holocaust zusammenfügte — die des Palästinensers, der bis vor kurzem nichts von einem Holocaust wußte und Wörter wie Muselmann erst lernt; oder Madi, die sich als entwurzelte Zentraleuropäerin und jetzige Bagwhan-Anhängerin von Israel distanzieren will und es nicht schafft; oder Moni, ein orthodoxer irakischer Jude, denen eigentlich immer gesagt wird sie könnten vom Holocaust nichts wissen — wenn man also diese alle zusammenfügte, käme kein Cinemascope vom Holocaust zustande; alles bleibt partielle Narration, die nicht anders kann als interessiert zu sein.

Im Gegensatz zu „Balagan“ werden hier nicht nur die Aussagen der Besucher des Theaters (die auch teil des Stücks sind) einbezogen, sondern es findet auch eine ständige — wenn auch vielleicht etwas selbstgerechte — Reflektion der Position des Regisseurs statt.

Das Fazit aus „Balagan“ ist, daß der Weg zur Erinnerung über einen versuchten und nicht bewältigten Vatermord läuft, eine in der Tat deutsche Perspektive, während man bei Tlalim sieht, daß das nichts nützen wird. Beide liefen — sehr zum Ärger von Tlalim — auf dem Jerusalemer Filmfestival gleichzeitg; wenn in dieser Stadt irgendjemand ein Gespür für Diskussionsstoffe besitzt, wird sich diese Veranstaltung noch einmal wiederholen. mn

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