Was haben wir von mahnenden Worten?

■ betr.: „Kinkel läßt Kowaljow ab blitzen“, „Ein Mann der sanften Resignation“, taz vom 10. 2. 95, „Kowaljow predigt tauben Oh ren“, taz vom 9. 2. 95

In Tschetschenien tobt ein blutiger Seperationskrieg. „Der Sacharow von Grosny“ hat keine Hoffnung auf ein schnelles Ende des Krieges. Für ihn ist Rußland „das größte vorstellbare Problem dieser Welt“, denn dem Lande und damit der ganzen Welt drohe der „GAU“ – und dies nicht allein wegen der AKW-Ruinen. Damit kann er nur die Atombombe meinen, denn Rußland ist Atommacht. Ist das noch eine „innere Angelegenheit“ Rußlands? Angesichts dieser möglicherweise „endgültigen“ Gefahren kritisiert Kowaljow in der Sache extrem hart Bonns Haltung als „äußerst schwach“ und „zu lasch“. Das sieht Kinkel anders. Schließlich wurden noch in der jüngeren deutschen Geschichte gegenüber (potentiellen) Nato- und/oder Geschäftspartnern in bezug auf Menschenrechtsverletzungen so „klare und deutliche Worte“ gefunden wie im Tschetschenien-Konflikt. Auch in Tibet und Kurdistan werden immer noch Menschen auf Befehl ihrer Regierenden nicht als Menschen behandelt und beliebig ermordet, ohne daß China oder die Türkei durch mahnende Worte belästigt oder gar mit Sanktionen bedroht würden. Man unterstützt sie lieber mit Konsum und Kommerz oder zumindest mit (ausrangiertem) Kriegsgerät.

Hat nicht unser Kanzler persönlich seinem Duzfreund Boris ins Gewissen geredet, wie nicht nur gründliche Monitor-Recherchen ergaben? Und was haben wir jetzt von den mahnenden Worten? Eigentlich sollten sie doch niemandem weh tun, und jetzt schmerzen sie zumindest ihre Absender. Ersteres kritisierte Kowaljow und erreichte damit letzteres. Zum Glück ist Boris nicht beleidigt und spielt schön weiter „kriegen“, notfalls auch ohne die alten Vize-Verteidigungsminister, zwei hohen Generälen, bei denen die Kritik am Krieg offenbar gefruchtet hat. Aber der Kohl spielt jetzt den ARD-Terminator und der Kinkel den (un-)diplomatischen, jedoch loyalen Blitzableiter vom Dienst. Die Moral von der Geschicht: „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold!“

Kohl weiß schon, warum er den russischen Nestbeschmutzer nicht direkt empfängt. Ganz Staatsmann, ist er offenbar um jeden Preis auf ein gutes Klima zu den Führern der (anderen) Weltmächte bedacht. Er versteht sich mit Amerika, Rußland und China, ganz gleich ob deren Präsidenten Bush oder Clinton, Jelzin oder Schirinowski, Deng oder Li Peng heißen. Wer mit Demokraten wie mit Diktatoren, mit Präsidenten wie mit Generälen auskommen und Geschäfte machen will, muß zwangsläufig Prioritäten setzen! Dabei können die Menschenrechte schon mal hintanstehen. [...]

Weiterhin sind Soldaten ja bekanntlich weder Mörder noch Menschenrechtsverletzer, da sie nur zum Wohl der Vaterlandes auf Befehl ihrer Vorgesetzten handeln; die Vorgesetzten sind es auch nicht, da sie grundsätzlich nicht selbst Hand anlegen und diese stets in Unschuld zu waschen wissen. Folglich ist das Anprangern von Menschenrechtsverletzungen, wie sie in jedem Krieg vorkommen, nicht nur müßig, sondern sinnlos. Daher wird die ganze Sache auch als „innere Angelegenheit“ Rußlands betrachtet.

Und die Menschen in Tschetschenien? – Nicht unser Bier. Und der „GAU“? – Ach ja, schließlich leben wir doch seit 1945 ganz gut mit der Bombe, und unsere „Apokalypsenblindheit“ bewahrt uns davor, „Endzeit und Zeitenende“ (beides G. Anders, 1956) als solche wahrzunehmen und entsprechend zu handeln. Und Kowaljow? Naja, der ist viel zu gescheit, als daß er Hoffnung hätte, ernsthaft mehr von uns zu erwarten. Warum nur hört er dann nicht auf, tauben Ohren zu predigen? Wahrscheinlich ist er ja nur scharf auf den Friedensnobelpreis – oder? Bernd Höppner, Freiburg