piwik no script img

SanssouciVorschlag

■ Phothanatographien von Martin Muser in der Zwingli-Galerie

Foto: Martin Muser

Eine junge Frau steht in ihrem Bad. Rechts ein Wäschekorb, links die Trockenschleuder, dahinter Berge von Klamotten. Und doch hat dieses Bild nichts mit einem herkömmlichen Foto gemein. Der Ort des Geschehens ist dunkel, Schlaglichter beleuchten das Gesicht der Porträtierten, ihre Bluse ist ein Harlekin-Kostüm, der Wäscheberg im Hintergrund sieht aus wie eine Wolkenformation in einem barocken Deckengemälde. Der Raum hat sich verdichtet und, so scheint's, in eine Scheibe verwandelt.

Daß dieses Freundesporträt, das Martin Muser, taz-Lesern bisher eher als Autor der „Schirm & Chiffre“-Kolumne bekannt, zusammen mit zehn weiteren Fotografien in der Zwingli-Galerie ausstellt, zu einem theatralischen Bühnenereignis mutiert ist, liegt an der speziellen Technik, die Muser für seine fotografischen Arbeiten verwendet. Als Hilfsmittel bei der Herstellung der sogenannten Phothanatographien dienen ihm eine uralte Plattenkamera im Format 13 mal 18 Zentimeter, eine ordinäre Taschenlampe und ansonsten völlige Dunkelheit. Hat sich das Modell postiert, löscht Muser das Licht, betätigt den Auslöser der Kamera und beleuchtet mit der Taschenlampe während der nun folgenden, langen Belichtungszeit jene Details, die er später als helle Flecken auf dem Foto haben will. Es ist eine merkwürdige Stimmung, die so entsteht: Die Gesichter der Porträtierten werden maskenhaft, ihre Körper körperlos. Man merkt, hier spielt sich ein Drama ab. Banale Gegenstände wirken plötzlich merkwürdig bedeutungsvoll, aus dem Wechselspiel von hellen und dunklen Bereichen ergeben sich so fast Psychogramme, Charakterbilder der Dargestellten. Diese Porträts sind ganz anders als die glatten, technisch brillanten, „dokumentarischen“ Fotografien, die derzeit gerade überall hoch in Kurs stehen. Altmodisch sind sie trotz ihrer Herstellungsweise deswegen noch lange nicht. Scharf sind die Kontraste in Musers Bildern, unerbittlich die Kombinationen von realistischen Einzelheiten und dem, „was nicht abgebildet ist“ (Muser).

Der Eindruck des Irrealen und Morbiden, den Musers Porträts erwecken, deutet sich schon in seinem Begriff der Phothanatographie an. Thanatos, der Zwillingsbruder des Eros, ist eine allegorische Figur, die – historisch gesehen – zum ersten Mal in der spätarchaischen Vasenmalerei des antiken Griechenland auftaucht und „Tod“ bedeutet. Mit dem Mittel der Phothanatographie lassen sich jedoch auch sehr komische Resultate erzeugen. Zum Beispiel die „Olympia 2000“-Serie, die Muser zusätzlich zu den Porträts im Keller der Zwingli-Galerie zeigt. Athleten in irrwitzigen Verrenkungen und Posen – Lichtgestalten zweifelsohne. Ob sie sich mit dem olympischen Gedanken in Einklang bringen lassen, ist eine andere Frage. Ulrich Clewing

Bis 4.3., Do. 18–21 Uhr, Sa. 11–14 Uhr und nach tel. Vereinbarung (3914782), Zwingli-Galerie, Zwinglistraße 5a, Moabit

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen