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Unorte: Männermale Von Claudia Kohlhase

Ein Arbeitsplatz ist ein Platz, an dem man alles hat, was man zum Leben braucht. Man hat vor allem das Gefühl, das öffentliche Leben sei für jeden zugänglich und stelle allen seine Räume zur Verfügung. Außerdem gibt es mittags warm zu essen, also gehen wir einfach mal runter in die Kantine und sehen mal zu. Ah, da kommt der Herr Vimbacher aus der Verwaltung, genauer: ein Mann. Kommt heran, als könnte ihn kein Wässerchen trüben, ha, das Wässerchen müßte erst erfunden werden, aber besser nicht.

Mit einem sagenhaften Hui bedient er sich der Türe in den öffentlichen Raum, sprich: in die Kantine. Und da haben wir ihn also, den Mann von Rang im Raum. Und was macht der Mann im Raum mit dem Raum? Er nutzt ihn. Er nutzt ihn aus und richtet sich ein. Und das geht so, daß er erst mal überall seine Stimme hinstellt: auf die Erbsen, auf die Möhrchen, aufs Kotelett, vor allem aufs Kotelett. Wegen der Schiere, wegen des Fetts. Und während nun überall seine Stimme verteilt ist, kommt jetzt der restliche Mann zum Einsatz: da wird ein wenig hin- und her-, vor- und zurückgetreten, damit hier nicht der Eindruck von Stillstand entsteht. Außerdem werden so Ort und Stelle markiert, wie es andere Kater auch tun, um den Dunstkreis der eigenen Aura zu verfestigen. Zwar verspritzt der aufrecht gehende Mann keine Duftmarken, wie es nur echte Tiere tun, aber im Vergleich zu manchem Rasierwasser oder etwa Parfüm wäre das gar nicht so schlecht.

Aber noch ist der Mann nicht auf der Höhe seiner Wirkung angekommen, denn noch ist er ein bißchen einsam – die drei albernen Kolleginnen hinter ihm sind alleine nicht gut in Schach zu halten und unterhalten sich einfach laut, obwohl er doch daneben steht. Die bestellen tatsächlich schon den Gemüseauflauf, obwohl er noch auf seine Extraportion Sülze warten muß, wo bleibt die eigentlich. Hoffentlich ist auch Nachschlag da für nachher, schließlich arbeitet man und arbeitet. Und hat schon deswegen ein Recht auf mehr, weil die anderen wesentlich weniger präsent sind und auch nicht derart aufgehalten werden wie er, bloß weil wieder alle Sülze wollen, seine Sülze. Im Grunde kommt es ihm sehr seltsam vor, daß hier überhaupt jemand irgend etwas fordert, außer ihm natürlich, der es zusätzlich eilig hat wegen unaufschiebbarer Zuständigkeit auch in den Ecken, in die andere schon wegen mangelnder Geschmeidigkeit gar nicht hineinkommen.

Na, da kommt ja endlich wie ein Dynamo am Horizont Kollege Kramer, ja halloo, da kann man sich wenigstens die Lufthoheit zurückerobern und über den Köpfen der andern die Sitzungsergebnisse verhandeln. Das ist endlich mal wieder was Wichtiges hier unten in der Kantine, wo sonst bloß Erbsen verpuffen. Ach, da kommt auch noch Kollege Simmermann, na, jetzt wird ja alles wieder gut. Schließlich hat der Mann eine Stimme wie Donnerhall und ist dazu qua Amt noch mehrfacher Bedeutungsträger und also Geheimniskrämer. Doppelt wichtig der, den er erwählt bzw. anspricht und auf seine Höhenlage erhebt, wo wenige Sterbliche leben. Gebannt ist jedenfalls die Gefahr der eigenen Unwichtigkeit, hinauf in die dicke Luft schwingt sich dreifach der Chor der herrlichen Männer. Unter ihnen die Sülze schweigt und glibbert.

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