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Wenn der Physiker zur Klarinette greift

■ Im Alt Hastedter Kammerorchester machen Laien seit 12 Jahren Profi-Musik

Der erste Geiger ist Anwalt für Wirtschaftsrecht, die erste Flötistin Professorin für Musikwissenschaft, der Klarinettist Physiker und die Oboistin studiert Musik. Vielfältiger als in diesem Orchester könnte das Spektrum der Berufe auch in einem beliebigen Jumbojet mitten über dem Atlantik nicht zusammengewürfelt sein. Im Alt Hastedter Kammerorchester, das heute Abend in der Waldorfschule ein Konzert gibt, sitzen sie an den Instrumenten. Da spielen sie nun seit 15 Jahren zusammen, planen im Sommerkamp (“eine große Familie mit vielen Kindern und vielen Zelten“) ihre Programme, „sogar Probedirigate leisten wir uns, wir sind alle sehr anspruchsvoll“. Sie proben und proben und proben und treten einmal jährlich mit einem Programm auf, das hinter einem Philharmonischen Konzert nicht zurückstehen muß: heute abend eine Sinfonia Concertante von Johann Christian Bach und die zweite Sinfonie von Robert Schumann.

Von der anstrengenden Orchesterarbeit bleibt für uns, so die Flötistin Freia Hoffmann, „nur das Schöne, und das auf hohem Niveau. Das kann man gar nicht beschreiben, es ist einfach toll, so eine große Sinfonie von innen kennenzulernen.“ Und der Blick auf die früheren Programme zeigt Erstaunliches: Mozart, Ravel, Mendelssohn Bartholdy, Haydn, Bartok, Beethoven, Purcell und sogar Lutoslawski.

Die Geschichte dieses wundersamen Liebhaberorchesters begann 1983, als aus einem begeisterten Kammermusikspielen mit kleinerer Besetzung die Idee des Orchesters geboren wurde. Der Anwalt und Geiger Constantin Frick hatte die Idee, Hans Heintze, den damals gerade pensionierten Domkantor, zu fragen, ob der nicht gern noch einige Jahre ein veritables Orchesterchen hätte, dann hätten sie selber auch einen guten Dirigenten. Das war die Gründungsstunde des Orchesters, und zur Schwachhauser Szene, aus der die GründerInnen teilweise kommen, gesellte sich eine zweite Klientel aus dem Viertel. Dann hat Catherine Rückwardt vom Bremer Theater das Orchester dirigiert, und nun seit zwei Jahren Fabio Vettraino, ebenfalls Kapellmeister am Bremer Theater.

Was motiviert denn den Profi, mit diesem Orchester zu arbeiten? „Viel, sehr viel. Es macht einfach Spaß, es ist ein unglaublicher Enthusiasmus da, die müssen eben nicht vom Musizieren leben. Oft ist es im professionellen Orchester so, daß sehr schnell ein sehr schöner Klang kommt, der aber nicht genug lebt. Die MusikerInnen des Hastedter Orchesters machen alles mit Leidenschaft und das kann tatsächlich geringeres technisches Können kompensieren.“ Dazu allerdings braucht es unvergleichlich mehr Proben, da ja auch der Verständnis und die Umsetzungsfähigkeiten der Forderungen des Dirigenten unterschiedlich sind. Woche für Woche treffen sie sich: „Oft genug sind wir genervt von einigen, die es nach zehnmal noch immer nicht begriffen haben“. Und zugegebenermaßen wird „unser Anspruch an den Dirigenten nicht immer mit der gleichen Zuverlässigkeit beantwortet“ (Freia Hoffmann). Vettraino: „Aber ich habe auch selbst etwas davon: ich kann Sinfonien arbeiten , die ich mit ausgesucht habe, die auch mein Traum sind, und die ich, weil ich noch am Anfang stehe, eben woanders noch nicht realisieren kann – heute abend zum Beispiel die zweite Sinfonie von Robert Schumann. Die vielen Interessen, die hier zusammentreffen, machen eine solche Arbeit und auch das Ergebnis möglich“.

Da für jedes neue Projekt aus Fluktuationsgründen nur noch etwa 80% der vorherigen Mitwirkenden da sind, sucht das Orchester ständig neue MusikerInnen. Gibt es ein Vorspiel? „Nein. Die sollen einfach kommen und dann sieht man“ (Freia Hoffmann). Die meisten kommen auch, weil sie von OrchestermusikerInnen angesprochen worden sind, und die wiederum fragen selten die falschen, die meisten machen ohnehin viel Kammermusik. „Seit ich da bin, kommen immer mehr“ (Vettraino).

Ute Schalz-Laurenze

Heute, 18 Uhr, Sendesaal Radio Bremen, Bürgerm.-Spitta-Allee.

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